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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Anstrichs tragen. Das Ganze ist, obgleich mit geringen Kosten
     gebaut, nicht ärmlich.
    Über dem Dach erhebt sich noch etwa fünfzehn Meter hoch die Felswand. Ihr oberer, zu einer Rundung vorgewölbter Teil ragt
     über das Wohnhaus hinaus, schützt es vor dem Regen und verleiht ihm sogar einen Ausdruck von Geborgenheit. Doch dieses Vorkragen
     wirkt zugleich ziemlich beklemmend. Man ist darauf gefaßt, daß die überhängende Masse Risse bekommt, sich abspaltet und vor
     das Haus stürzt. Dennoch hält sie sich vermutlich schon seit Jahrtausenden so in ihrem bedrohlichen Gleichgewicht. Und als
     sich der Wahrwoorde dort niederließ, hat er wohl angenommen, daß sie sich während der kurzen Spanne eines Menschenlebens auch
     noch halten wird.
    Die Anordnung des Ganzen entspricht genau unserer Maternité (nur daß ich keinen Vorbau angebracht habe), und am Tage des Ereignisses
     hat diese Anordnung den Höhlenmenschen das Leben gerettet.
    Außer einem backofenähnlichen Häuschen in dem Gehege sehe ich keine anderen Gebäude.
    Es kommt mir zu Bewußtsein, daß jemand da ist und mich anblickt. Auf der Schwelle des Wohnhauses steht eine voluminöse, mit
     einem ziemlich schmutzigen Kittel bekleidete Alte und betrachtet uns mit dem Ausdruck abergläubischen Staunens. Ich frage
     mich, ob ich die Mutter meines Gegners vor mir habe, gehe auf sie zu und rede sie verlegen an.
    »Du ahnst schon, was passiert ist und daß ich nicht zu meinem Vergnügen gekommen bin.«
    Sie neigt den Kopf, ohne gleich zu antworten und, wie ich bemerke, auch ohne Trauer. Sie ist klein von Wuchs, hat ein gedunsenes
     Gesicht mit Hängebacken und einen Hals, so umfänglich und schlaff, daß er ohne Übergang das Kinn bis zu ihrem ungeheuren Busen
     verlängert, der bei der geringsten Bewegung hin und her schaukelt wie zwei Hafersäcke auf einem Eselsrücken. In diesem Fett
     leben recht hübsche schwarze Augen, und über der etwas niedrigen Stirn steht nicht zu bändigendes, |185| dichtes, buschiges Kraushaar von blendendstem Weiß nach allen Seiten ab.
    »Wo ich dich doch seh, muß es wohl gekommen sein, wie ich mir vorstelle«, sagt sie mit ungetrübter Ruhe.
    Nicht die geringste Gemütsbewegung, und was merkwürdig ist: der Akzent von hier, sogar der Satzbau.
    »Glaub mir, es tut mir leid«, sage ich, »aber ich hatte keine Wahl. Entweder dein Sohn oder ich.«
    Sie gibt mir eine zumindest unerwartete Antwort.
    »Komm doch herein«, sagt sie und tritt von der Schwelle zurück, »vielleicht möchtest du mit uns etwas essen.« Mit einem Achselzucken
     und einem Seufzer setzt sie auf patois hinzu: »Gott sei Dank, es war nicht mein Sohn.«
    Ich sehe sie an.
    »Du sprichst ja Patois?«
    »Ich bin doch von hier«, sagt sie.
    Mit einem Ruck, der die Hafersäcke, von denen ich gesprochen habe, beträchtlich ins Schaukeln bringt, richtet sie sich stolz
     auf, als wollte sie erklären: Ich, ich bin keine Wilde.
    »Ich bin aus La Roque gebürtig«, fährt sie fort. »Kennst du den Falvine aus La Roque?«
    »Den Schuster, der den Raben abgerichtet hatte?«
    »Der ist mein Bruder«, sagt die Falvine mit der Miene maßloser Vornehmheit. »Komm doch herein, mein Junge«, setzt sie hinzu,
     »hier bist du wie zu Hause.«
    Aber selbst einer Falvine, Schwester eines ehrbaren und ansässigen Schusters aus La Roque, traue ich nicht völlig. Ich nehme
     die Waffe in die Hand, drücke einen Ladestreifen in den Karabiner und bringe, indem ich die Kammer verschließe, das Geschoß
     in den Lauf. Daraufhin schiebe ich, statt als erster einzutreten, die Falvine, Herzlichkeit vorschützend, vor mir her ins
     Haus. Als ich ihren Rücken berühre, habe ich den Eindruck, meine Hand in Schweineschmalz zu tauchen.
    Nichts Verdächtiges. Zementierter, mit Platten ausgebesserter Fußboden, Rückwand und Seiten aus dem weißgrauen Gestein der
     Höhle. Man hat sie gelassen, wie sie war, und nicht versucht, ihr Relief und ihre Unebenheiten zu glätten. Keine Spur von
     Feuchtigkeit. An der Decke das Gebälk und die Bretter der oberen Etage, das Türchen in der Ecke des gemauerten Vorbaus müßte
     nach oben führen. Nach außen ein Fenster, die |186| Glastür und der Schornstein. Die Ziegel im Innern sind unverputzt geblieben, die Mörtelspritzer sind noch zu sehen. Im Herd
     mäßiges Feuer. Unter dem Fenster ein Regal, auf dem Stiefel stehen. Ein großer Schrank im rustikalen Louis-Quinze-Stil, den
     ich mit einem der Form halber gemurmelten »Du erlaubst?« öffne. Rechts

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