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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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den Wäldern spazierengeritten ist.«
    Ich sehe ihn an. Eine nützliche, wenn auch lückenhafte Aussage und eine zusätzliche, nicht zu unterschätzende Motivation.
     Die Burg und die Dame. Wilde Jacquerie mit Ermordung des Herrn und darauffolgender Schändung des Burgfräuleins. Des Herrn
     oder der Herren. Denn ich erfahre, daß Thomas, Colin, Peyssou, Meyssonnier und ich für den Vater »die Herren von Malevil«
     waren und daß er von uns, die wir ihn nie gesehen hatten, häufig mit Wut, mit Haß gesprochen hat. Auf seinen Befehl spionierte
     der Sohn uns nach. Ich bleibe stehen, stelle mich vor Jacquet und mustere ihn.
    »Ist dir niemals eingefallen, daß du uns, um alle diese Mordtaten zu verhindern, hättest warnen können?«
    Vor Reue vergehend, mit niedergeschlagenen Augen, die Hände auf dem Rücken, steht er vor mir. Ich frage mich, ob er nicht
     imstande wäre, sich aufzuhängen, wenn ich es ihm nahelegte.
    »O doch«, sagt er. »Aber der Vater hätte es erfahren und mich umgebracht.«
    Denn der Vater war selbstverständlich nicht nur unbesiegbar, er war auch allwissend. Ich blicke Jacquet an: Mitwisserschaft
     bei Mord, Anschlag auf einen unserer Kameraden, Diebstahl eines Pferdes.
    »Nun denn, Jacquet, was sollen wir mit dir machen?«
    Seine Lippen zittern, er schluckt an seinem Speichel, sieht mich aus seinen gutmütigen Augen angstvoll an.
    »Ich weiß nicht. Mich töten, vielleicht«, sagt er, bereits resigniert.
    »Das ist genau, was du verdienen würdest«, sagt Thomas, bleich vor Zorn und mit zusammengepreßten Lippen. Ich sehe ihn an.
     Er muß große Angst um mich ausgestanden haben, als ich den Hügel hinaufkletterte. Und jetzt findet er mich zu nachsichtig.
    »Nein«, sage ich. »Töten werden wir dich nicht. Schon weil |181| Töten eine Sünde ist, wie du gesagt hast. Aber wir werden dich mit nach Malevil nehmen und dir für eine gewisse Zeit die Freiheit
     entziehen.«
    Thomas blicke ich nicht an. Nicht ohne leichte Belustigung stelle ich mir vor, wie angewidert er sein muß, daß ich einen so
     »klerikalen« Begriff wie Sünde gebrauche. Dennoch, was könnte ich anderes tun, als mit Jacquet die Sprache zu reden, die er
     versteht?
    »Allein?« fragt Jacquet.
    »Wieso: allein?«
    »Nehmen Sie mich allein mit nach Malevil?«
    Da ich ihn fragend anblicke, setzt er hinzu: »Weil da auch noch die Großmutter ist …«
    Ich habe den Eindruck, er will seine Aufzählung fortsetzen, doch er redet nicht weiter.
    »Wenn die Großmutter mit uns kommen will, werden wir auch sie mitnehmen.«
    Ich merke wohl, daß ihn etwas anderes quält. Die Freiheitsberaubung, glaube ich, ist es nicht, denn sein Gesicht, von dem
     alles abzulesen ist, verdüstert sich. Es verdüstert sich in der Tat weit mehr als vorhin, da er befürchtet hatte, getötet
     zu werden. Ich gehe wieder weiter und will mit Fragen in ihn dringen, als in der Stille der wüsten, entlaubten Schlucht ganz
     in der Nähe ein Wiehern erschallt.
    Es ist nicht irgendein Wiehern. Und es kommt auch nicht von Amarante. Es ist das triumphierende, zärtliche Wiehern eines Hengstes,
     der ein Weibchen umkreist und in Kondition oder, wie der Onkel sagte, auf Trab bringt.
    »Habt ihr denn ein Pferd?«
    »Ja«, sagt Jacquet.
    »Und ihr habt es nicht verschnitten?«
    »Nein. Der Vater war dagegen.«
    Ich blicke Thomas an. Ich traue meinen Ohren nicht. Ich bin vor Freude außer mir! Ein Bravo diesmal für den Vater! Ich beginne
     zu rennen wie ein Kind. Mehr noch: Als mich der Bogen behindert, reiche ich ihn Jacquet, der mit offenem Mund neben mir her
     läuft und ihn ohne Verwunderung in Empfang nimmt. Thomas ist uns selbstverständlich gleich mit ein paar Sprüngen voraus und
     vergrößert mit jeder Sekunde seinen Vorsprung, zumal meine Kraft nachläßt und mir die Luft ausgeht.
    |182| Doch schon ist der Hafen erreicht. Dicke, etwa anderthalb Meter hohe Pfähle aus Kastanienholz mit zwei Reihen Stacheldraht
     dazwischen zäunen vor dem »Höhlenmenschen haus « (drei Viertel Höhle, ein Viertel Haus) ein Gehege von tausend Quadratmetern ein. In seiner Mitte, an ein Baumgerippe gebunden,
     bebend, aber nicht störrisch, meine Amarante, die blonde Mähne in koketter Ungeduld zurückwerfend, während ihr Schauer über
     das fuchsrote Fell laufen. Wer hätte je gedacht, daß mich dieses Sakrileg, obwohl noch keineswegs vollzogen, mit solcher Freude
     erfüllen könnte! Ein Percheron, ein schweres Zugpferd, bespringt eine englisch-arabische Stute! Nicht, daß

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