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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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auf das Ei warte, um es mit meinem Schinken zu verzehren,
     zwar nicht mit Essen versorgt, wohl aber gut informiert.
    Die Falvine, nur in diesem Punkt der Menou ähnlich, hat einen Hang zur Genealogie. Und um mir zu erklären, daß ihre Tochter
     Raymonde aus ihrer ersten Ehe zwei Töchter, Catie und Miette, gehabt und, nachdem sie Witwe geworden, den Wahrwoorde geheiratet
     hat, der selbst auch verwitwet war und zwei Jungen hatte, den Louis und den Jacquet, muß sie bis zu den Urgroßeltern zurückgehen.
    »Und was ich von dieser Ehe halte, das kannst du dir denken, besonders weil ich, als auch mein guter Gaston gestorben war,
     hierherzog, um wie bei den Wilden, kann man sagen, zu leben, ohne Elektrizität, ohne Wasser über dem Ausguß, und nicht einmal
     Butangas, von dem der Wahrwoorde nichts hat hören wollen, und Küche und Kamin in einem, wie in der Vorzeit. Das Brot, das
     du nicht zu Hause ißt«, fährt sie mit Blick zum Himmel fort, »schmeckt sehr bitter. Auch wenn ich dem Wahrwoorde in den zehn
     Jahren nicht viel weggegessen habe.«
    Ein Ausspruch, der sogleich meinen Verdacht bestätigt, daß sie sich für die Tyrannei des Schwiegersohns durch heimliche Gefräßigkeit
     entschädigt. Wie der gute Gaston war dann ja auch ihre Tochter Raymonde teils wegen der schlechten Behandlung, teils an schlechter
     Verdauung gestorben, und daß sie nicht mehr da war, machte das Brot des Fremden selbstverständlich noch bitterer.
    Dies alles begleitet mich, bis ich mit meinem Schinken, meinem Ei und meiner Milch fertig bin, ohne daß die Falvine, wie ein
     Huhn vollauf mit Nichtstun beschäftigt, sich ein einziges Mal zu uns an den Tisch gesetzt oder den geringsten Bissen gegessen
     hätte, womit sie die Fiktion ihrer Enthaltsamkeit auch nach dem Tode des Wahrwoorde aufrechterhielt. So schwatzhaft sie war,
     hatte sie mir doch nicht alles gesagt. Bei uns, und ich vermute, auch anderswo, gibt es zwei Methoden des Verheimlichens:
     schweigen oder viel reden.
    »Jacquet«, sage ich und wische das Messer des Onkels an der Krume meines letzten Brotbissens ab, »du nimmst eine Schaufel
     und eine Kreuzhacke und gehst den Vater beerdigen. Thomas wird dich bewachen.« Während ich die Klinge einschnappen lasse und
     das Messer wieder in die Tasche stecke, |189| füge ich hinzu: »Ich habe gesehen, daß seine Schuhe nicht schlecht waren. Du würdest gut daran tun, sie an dich zu nehmen.
     Du wirst sie gebrauchen können.«
    Jacquet steht auf, ein wenig gekrümmt und mit gesenktem Kopf, um seinen Gehorsam zu bezeigen. Auch ich erhebe mich, gehe mit
     meinem Karabiner in der Hand auf Thomas zu und sage leise: Gib mir die Flinte des Vaters und nimm nur deine eigene mit, laß
     diesen jungen Burschen vor dir hergehen, und wenn er gräbt, halt Abstand und laß ihn nicht aus den Augen. Inzwischen bemerke
     ich, daß Jacquet, diese Gelegenheit ausnützend, an die Falvine herantritt und ihr etwas ins Ohr flüstert.
    »Also, Jacquet!« herrsche ich ihn an.
    Er fährt zusammen, wird rot, läßt die Arme von seinen gewaltigen Schultern baumeln und geht, von Thomas gefolgt, wortlos durch
     die Tür. Sobald sie draußen sind, blicke ich die Falvine mit ernster Miene an.
    »Jacquet hat einen von uns niedergeschlagen und uns ein Pferd gestohlen. Nein, Falvine, verteidige ihn nicht, ich weiß ja,
     daß er nur gehorcht hat. Eine Strafe verdient er aber trotzdem. Wir werden seine Habe beschlagnahmen und ihn als Gefangenen
     nach Malevil bringen.«
    »Und was wird mit mir?« fragt die Falvine bestürzt.
    »Dir lasse ich die Wahl. Du kommst und lebst mit uns in Malevil, oder du bleibst hier. Wenn du bleibst, werde ich dir das
     Nötige hierlassen.«
    »Hierlassen?« schreit sie entsetzt. »Aber was soll ich denn hier tun?«
    Folgt ein Wortschwall, den ich mir aufmerksam anhöre und der mich nachdenklich macht, weil darin das einzige Wort fehlt, das
     ich von ihr erwartet hätte, das Wort »allein«.
    Denn was sie erschrecken müßte, wäre, im Etang »allein« zu bleiben. Und sie, die alles sagt, hat gerade das nicht erwähnt.
     Ich stecke die Nase in die Luft und wittere wie ein Jagdhund. Ohne Ergebnis. Dennoch: Diese Menina 1 verbirgt mir etwas . Ich habe es von Anfang an gemerkt. Etwas oder vielmehr jemand. Ich höre ihr nicht mehr zu. Und da meine Witterung versagt,
     gebrauche ich meine Augen. Ich sehe mich im Raum um, ich mustere ihn bis ins einzelne. Mir gegenüber, an der |190| Rohziegelwand des Vorbaus, bemerke ich etwa vierzig

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