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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Miette sich versteckt hielt. Ich habe es erraten.«
    Sprachlos blickt Jacquet mich an. Er zieht nicht einen Moment in Zweifel, was ich sage. Er glaubt mir. Mehr noch: Er bereut,
     daß er versucht hat, mir etwas zu verbergen. Ich habe die Nachfolge des Vaters angetreten: Ich bin unfehlbar und allwissend.
    »Du hast dich doch wohl nicht für schlauer gehalten als die Herren von Malevil!« sagt die Falvine spöttisch.
    Zur Zeit bin ich nun Mehrzahl. Entweder »mein Junge« oder »die Herren«. Niemals der richtige Ton. Ich schaue die Falvine an.
     Ich vermute, daß dabei ein wenig Niedertracht im Spiel ist. Aber zu rasch möchte ich nicht über sie urteilen. Wer wäre in
     zehn Jahren Sklaverei bei dem Höhlenmenschen nicht korrumpiert worden?
    »Jacquet, was hast du der Großmutter zugeflüstert, bevor du den Vater beerdigen gegangen bist?«
    Seine Hände bleiben auf dem Rücken, der Kopf auf der Brust und die Augen auf dem Boden, während er beschämt erklärt: »Ich
     habe sie gefragt, wo Miette ist. Sie hat mir gesagt: in der Scheune. Ich habe ihr gesagt, sie soll es den Herren nicht sagen.«
    Ich blicke ihn an.
    »Du hast also damit gerechnet, aus Malevil zu entweichen, zu ihr zurückzukehren und dich mit ihr davonzumachen?«
    Er ist kupferrot geworden.
    »Ja«, sagt er mit leiser Stimme.
    »Und wohin wärst du gegangen? Wie hättest du sie ernährt?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Und die Großmutter? Wäre die in Malevil geblieben?«
    Die Falvine, die sich beim Eintritt der beiden Männer erhoben hatte (ein vom Wahrwoorde eingedrillter Reflex?), steht |195| neben Miette, und da sie immerhin müde ist, stützt sie sich mit beiden Händen auf den Tisch.
    »An die Großmutter hatte ich nicht gedacht«, sagt Jacquet verwirrt.
    »Wahrhaftig, nein!« sagt die Falvine, und eine dicke Träne quillt ihr aus dem Auge.
    Ich ahne schon, daß sie leicht zu Tränen gerührt ist, aber immerhin war Jacquet gewiß ihr Liebling. Das ist schon ein Grund,
     sich zu grämen.
    Miette legt die Hand auf die der Falvine, hebt das Gesicht zu ihr empor und blickt sie kopfschüttelnd an, als wollte sie sagen:
     Ich aber, ich hätte dich nicht verlassen! Ich möchte Miettes Stimme gern hören, verstehe aber anderseits, daß sie nicht spricht,
     denn ihr Blick sagt alles. Vielleicht hat sie sich diese mimische Fertigkeit zur Zeit Wahrwoordes und des Schweigens erworben,
     das er wohl zur Pflicht gemacht hatte.
    »Jacquet«, fahre ich fort, »hattest du für diesen Plan Miettes Einverständnis eingeholt?«
    Miette schüttelt energisch den Kopf, und Jacquet sieht sie zerknirscht an.
    »Nein«, sagt er, kaum hörbar.
    Schweigen.
    »Miette«, erkläre ich, »kommt aus freien Stücken mit uns nach Malevil. Die Großmutter ebenfalls. Und von dieser Minute an,
     Jacquet, in der ich mit dir spreche, hat niemand das Recht zu sagen: Miette gehört mir. Weder du noch ich noch Thomas noch
     irgend jemand in Malevil. Hast du verstanden?«
    Er nickt.
    »Warum«, fahre ich fort, »hast du versucht, mir zu verbergen, daß sich Miette im Etang befindet?«
    »Du weißt doch, warum«, sagt er mit schwacher Stimme.
    »Hattest du Angst, daß ich mit ihr schlafe?«
    »Oh, nicht deshalb. Wenn sie einverstanden ist, ist das dein Recht.«
    »Dann also, daß ich sie zwinge?«
    »Ja«, sagt er mit leiser Stimme.
    Meiner Ansicht nach spricht diese Unterscheidung nur zu seinen Gunsten. Er hat nicht an sich selbst gedacht, sondern an Miette.
     Dennoch fühle ich, daß ich ein wenig streng sein muß. Er entwaffnet mich mit seinen gutmütigen Hundeaugen. Das |196| ist ein Fehler. Da er ja mit uns leben soll, habe ich ihm ein entsprechendes Verhalten einzuprägen.
    »Hör zu, Jacquet. Etwas mußt du verstehen lernen. Im Etang pflegt man zu töten, zu schänden, die Leute niederzuschlagen und
     dem Nachbarn das Pferd wegzunehmen. In Malevil tut man nichts dergleichen.«
    Mit was für einem Gesicht er diese Strafpredigt aufnimmt! Und ich selbst bin wohl für Moralpredigten nicht sehr begabt. Will
     sagen, vermutlich bin ich nicht sadistisch, die Beschämung des Nächsten bereitet mir kein Vergnügen.
    Ich breche kurz ab.
    »Wie rufst du dein Pferd?«
    »Malabar.«
    »Schön. Du wirst Malabar vor den Anhänger spannen. Heute können wir nur mit einem Teil umziehen. Morgen werden wir mit Malabar
     zurückkommen und dazu noch mit Amarante vor unserem eigenen Anhänger. Wir werden so viele Fuhren machen, wie nötig sind.«
    Jacquet, der froh ist, etwas zu tun, geht sofort auf die Tür

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