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Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Titel: Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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selbst in der Finsternis zu finden vermochten. »Ihr Name ist Makris de los Santos.«
    »Wer ist sie?«
    »Das hat mir Sarita nicht gesagt.«
    »Ist sie auch eine Hexe?«
    »Kann sein, ich weiß es nicht.« Er versuchte sich aufzusetzen. »Es wird mit mir zu Ende gehen.«
    Sie spürte einen Kloß in ihrem Hals. »Nein, das dürfen Sie nicht sagen.«
    »Catalina…«
    »Wir werden die Schatten vertreiben.«
    Er rüttelte an ihrer Hand. »Catalina! Hör mir zu!«
    Sie schwieg, spürte ihr Herz pochen, dort, wo der Schmerz wohnt. »Dunkelheit und Schatten sind nicht dasselbe«, flüsterte sie.
    Doch sie ahnte, wie der alte Kartenmacher den Kopf schüttelte. »Noch sind die Schatten schwach. Das wird nicht immer so bleiben, Catalina. Bald schon werden Dunkelheit und Schatten dasselbe sein.« Er berührte sanft ihr Gesicht und strich ihr durchs Haar. »Beim nächsten Lichtstrahl, der in diesen Raum fällt, werde ich nicht mehr Arcadio Márquez sein. Sie lauern auf das Licht, das ihnen Leben einhaucht.« Er packte sie jetzt ganz fest bei der Hand. »Du darfst nicht warten.«
    Er tat ihr weh.
    »Das ist ein Befehl, Catalina. Du wirst jetzt gehen, solange du es noch kannst. Es ist wichtig!« Er stieß sie von sich fort und das Mädchen hörte, wie er in der Dunkelheit auf die Falltür zukroch und flinke alte Finger sich daran zu schaffen machten.
    Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
    Nein, schrie es in ihr. Tun Sie es nicht!
    »Lauf weg und finde Makris de los Santos!«, sagte Arcadio Márquez noch ein allerletztes Mal. Dann öffnete sich die Tür im Boden.
    Ein grinsendes Harlekin-Gesicht kam dort zum Vorschein, schien in dem Loch aus Licht zu schweben. Und Catalina Soleado, die alle Hoffnung schwinden sah, wurde Zeugin, wie Dunkelheit und Schatten eins wurden.

Die Mosaikeidechse
    Die Straßen der singenden Stadt erwachten erst mit der Dämmerung zum Leben. Überall in den Häusern und Geschäften brannten Lichter und die Laternen funkelten wie kleine Sterne hoch über den Gassen. Die Hitze des vergehenden Nachmittags wich der kühlen Brise der nahenden Nacht, sodass die Luft wieder leicht und beschwingt zu atmen war. Die kleinen Eidechsen mit ihren Schuppen aus Mosaikstein saßen in den Ritzen der Mauern und schauten neugierig den Passanten zu, die schwatzend und lachend die Straßen bevölkerten.
    Jordi mochte die Eidechsen. Sie sahen so aus, als hätten kunstfertige Hände Tausende und Abertausende von winzigen bunten Steinstückchen zu den flinken Eidechsenkörpern zusammengesetzt, die überall anzufinden waren. Er hatte noch nie zuvor eines der Tierchen berühren können, aber er war sich sicher, dass das Geräusch, das sie bei jeder Bewegung machten, mit den vielen Steinchen zu tun haben musste, jenen bunten, eckigen Plättchen, die andauernd gegeneinander stießen und hell und klar klimperten, als flüsterten Hunderte kleiner Glöckchen sich Geheimnisse zu.
    Der Junge saß am Fuße einer Mauer am Rand des Passeig de Montjuic und schaute zum Berg hinauf. Die weißen Häuser bildeten den Kern der Altstadt. Wie bewohnte Treppenstufen, so wirkten die Wohnhäuser von Dalt Vila an manchen Stellen. Helle Klötze mit kleinen, eckigen Fenster waren es, die sich da dicht an dicht an den Berg schmiegten. Auf den Dächern sah man oft Gärten, Palmen und Pinien und es gab sogar ein Haus, auf dessen Dach sich eine schäbige Windmühle befand.
    Jordi rieb sich müde die Augen.
    Was war das für ein Tag gewesen! Er schaute absichtlich nicht zum Hafen, weil sein Blick dann unweigerlich auf den Leuchtturm gefallen wäre, und genau das wollte er vermeiden, jedenfalls heute Abend. Womöglich würde er ihn auch gar nicht ausmachen können, weil das Leuchtfeuer finster blieb in dieser Nacht. Weil er nicht leuchten konnte. Weil sein Vater zu betrunken war, um es anzufachen.
    Nein, an all das wollte er jetzt nicht mehr denken. Das gehörte zu einem Leben, das nicht länger sein eigenes war. Er war hier, am Fuße des Montjuic, und er würde niemals wieder zurückgehen.
    Stattdessen betrachtete er die kleine Eidechse, die soeben aus einer Lücke in der Mauer gekrochen war und jetzt auf einem der klobigen Steine saß und mit winzigen Augen in die Nacht blinzelte.
    Jordi fragte sich, wie die Welt wohl aus Sicht der kleinen Eidechse aussehen mochte. War für sie die Mauer nicht das Größte, das sie sich vorstellen konnte? Es gab lang gezogene Spalten und Ritzen, die tief in die Mauer hineinführten, dicke Steine, mächtige Quader und

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