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Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Titel: Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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setzen. Sie könnte genau in dem Moment aus dem Fenster springen, wenn einer der beiden Flügel dort vorbeiraste. Falls es ihr gelang, sich an ihm festzuklammern, konnte sie sich bis zum Boden tragen lassen.
    Der alte Kartenmacher setzte sich in Bewegung. Ein letzter Blick in seine Augen überzeugte sie davon, dass er nicht mehr er selbst war. Wer oder was auch immer ihn für seine Zwecke benutzte, es war heimtückisch und boshaft.
    Catalina rannte.
    Ihre Hände und Füße flogen förmlich die Sprossen der Leiter hinauf. Nicht ein einziges Mal sah sie sich um. Oben angekommen, schlug sie die Klappe zu und verriegelte die Luke. Dann legte sie den Schalter für die Königsspindel um und hörte, wie sich der Mechanismus der Windmühle langsam in Gang setzte. Die beiden Flügel begannen sich im sanften Abendwind zu drehen. Das Rumpeln des Dynamos dröhnte durch die Mühle und brachte die Lichter im Raum zum Glühen.
    Der Kartenmacher hämmerte mit den Fäusten von unten gegen die Falltür. Sie verstand nicht, was er schrie, doch der Klang seiner Stimme jagte ihr ein Schaudern über den Rücken. Wie tobsüchtig hörte er sich an.
    Die Falltür bebte bedrohlich und es war nur allzu offensichtlich, dass sie nicht ewig den wütenden Schlägen standhalten würde. Catalina musste sie beschweren, irgendwie.
    Ihr Blick irrte durch den Raum, der mit einem Mal überhaupt nichts mehr von einem Zuhause an sich hatte.
    Tränen der Wut traten ihr in die Augen. Dies hier war ihr Zimmer, wenngleich es niemand so nannte. Aber sie empfand es so, und auch der alte Márquez hatte immer nur von ihrem »klitzekleinen und kunterbunten Refugium« gesprochen und ihre Unordnung lachend zur Kenntnis genommen. Doch nun schien ihr alter Meister den Verstand verloren zu haben und Catalinas liebste Zuflucht wurde ihr plötzlich zur gefährlichen Falle.
    Wieder hämmerte es gegen die Bodenluke.
    Der Tisch! Damit konnte sie sich ein wenig Zeit verschaffen.
    Catalina zerrte den Arbeitstisch, der immerhin aus massivem Holz war, zur Falltür. Quälend langsam bewegte er sich von der Stelle. Die Tuschestifte rollten über die polierte Oberfläche. Die fast vollständige Karte der Insel Eivissa, die sie eigentlich in der Nacht hatte fertigstellen wollen, würde wohl lange Zeit unvollendet bleiben.
    »Lass mich rein!«, zischte der Kartenmacher. Seine Stimme war kaum wiederzuerkennen. Catalina verstärkte ihre Anstrengung und im selben Moment, als Márquez von unten abermals gegen das Bodenholz schlug, schob sie das Tischbein auf die Luke, die sich mit jedem Schlag aufwölbte. Fast kippte der Tisch zur Seite, doch Catalina umfasste die Platte mit beiden Händen und drückte sie nach unten, in dem sie ihr ganzes Gewicht auf die Platte legte.
    Woher, fragte sich Catalina, hat er nur diese Kräfte? Arcadio Márquez war alt und an manchen Tagen benutzte er sogar einen Gehstock. Jetzt stand er unten auf der wackligen Leiter und schaffte es dennoch, die massive Falltür nahezu aus der Verankerung zu reißen. Allein die Scharniere aus festem Eisen hielten die Tür noch am Boden.
    Catalina versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Ruhig bleiben musste sie jetzt, sie durfte nichts überstürzen, ehe sie nicht sicher war, dass ihr Plan gelingen konnte.
    Wieder warf sich der Kartenmacher von unten gegen die Bodentür. Er zischte, wie der Schatten es vorhin getan hatte. Ganz deutlich hörte sie das Geräusch. Fingernägel kratzten gegen das Holz – ein Schaben, das Catalina innerlich aufschreien ließ.
    Zu gerne hätte sie gewusst, was der Harlekin-Mann gerade machte. Stand er einfach nur zwischen Márquez und der Haustür und betrachtete die Szenerie aus sicherer Distanz? Oder war er gar nach draußen gegangen, um einen anderen Weg zu finden, der ihn zu ihr bringen würde?
    Wenn er über die Schatten gebieten konnte, warum griffen dann nicht weitere Schatten an? Immerhin versteckten sie sich überall im Raum. Unter dem Tisch, in den Regalen, hinter den Büchern, tief in den Rollen, in denen die Karten aufbewahrt wurden. Wo es Licht gab, da waren auch Schatten. Daran konnte man wohl kaum etwas ändern. Wenn aber der Harlekin-Mann selbst so etwas wie ein Schatten war und wenn er die Schatten anderer Menschen lenken konnte, warum hatte er dann nicht auch ihren Schatten angegriffen? Warum nur den Schatten des Kartenmachers?
    Ein Schlag gegen die Bodentür, fester als alle vorherigen.
    Denk nach, denk nach!
    Ihr Blick wanderte zum Fenster. Der Raum war nicht besonders groß und

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