Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt
neue hinzu. Es ist nicht einfach, den Überblick zu behalten.«
»Aber dieses hier sieht uralt aus.« Darüber hinaus verlor es keine Buchstaben, wie es die anderen Bücher taten.
»Vielleicht hat es jemand im Regal versteckt.«
»Aber wozu?«
»Damit es niemand bemerkt«, antwortete Catalina gedankenverloren. Sie wusste, dass diese Antwort nicht unbedingt die beste war. Trotzdem! »Ich meine, deshalb versteckt man doch Sachen. Damit sie niemand findet.«
»Aber warum ausgerechnet in der Bibliothek? Wenn jemand ein Buch sucht, dann doch hier?« Firnis schwammen die Buchstaben ganz unruhig in den Augen.
»Vielleicht auch nicht«, mutmaßte Jordi. »Es könnte sein, dass dieser Ort zu offensichtlich wäre für ein Versteck und dass gerade aus diesem Grunde hier keiner danach suchen würde.«
»Ziemlich rätselhaft«, murmelte Catalina. »Wie hast du es gefunden?«
»Eigentlich habe ich es gar nicht gefunden.« Jordi betrachtete das dicke Buch und berührte es kurz mit dem Finger, als sei es etwas unschätzbar Wertvolles. »Es waren die anderen Bücher, die mich hingeführt haben.«
Catalina zog eine Augenbraue hoch.
»Ich war zu unruhig gestern Nacht und konnte nicht schlafen. Da bin ich hier heruntergekommen«, begann Jordi zu erklären.
»Er suchte nach alten Geschichten, die etwas mit lebendigen Schatten zu tun haben«, fuhr Firnis fort. »Also zeigte ich ihm einen Winkel, in dem sich die alten Geschichten nur so stapeln.«
»Es hat ganz schon lange gedauert.« Jordi berichtete, wie er stundenlang ein Buch nach dem anderen in die Hand genommen hatte. »Ich habe von Schattenspielen gelesen. Endlose Aufsätze über Licht und Schatten habe ich studiert. Aber nirgendwo gab es einen Hinweis auf lebendige Schatten.« Er atmete tief ein. »Ich hatte schon fast aufgegeben, als ich auf den Aufsatz eines Gelehrten gestoßen bin, in dem ein ganz bestimmtes Märchen erwähnt wurde. Von diesem Moment an wusste ich endlich, wonach ich suchen musste.« Er blickte auf die zahllosen Regalreihen, die den Garten durchzogen. »In weiteren Büchern fand ich Hinweise, aber stets war es eine Sackgasse.« Er rieb sich über die Augen und plötzlich sah er wieder müde aus. »Bis ich endlich einen dünnen Erzählband namens Epistolas triste fand. Ein gewisser Antonio de Guevara hatte ihn verfasst. Dort bin ich dann auf besagte Geschichte gestoßen, die den klangvollen Titel La Muerta – die tote Stadt trägt. Darin erzählt de Guevara in nur wenigen Worten die Geschichte einer Stadt, die sich… nun ja… verändert.«
»Was meinst du damit?«
Jordi zuckte mit den Achseln. »Wie gesagt, es ist nur eine Geschichte – ein Märchen, irgendwie. Keine wissenschaftliche Abhandlung. Aber es ist die einzige Spur, die ich gefunden habe.«
»Wir sollten uns setzen«, schlug Firnis vor. »Wie wäre es mit einem Kaffee?«
Weder Jordi noch Catalina hatten etwas dagegen einzuwenden und so folgten sie dem Bibliothekar in die Küche, wo sie an dem hölzernen Tisch Platz nahmen. Die Zeichnung befand sich noch immer dort und es verwunderte Catalina aufs Neue, dass sie diejenige gewesen sein sollte, die das Haus der Nadeln so gezeichnet hatte.
»Also gut«, lenkte sie sich von der Zeichnung ab, »was passiert in dieser Geschichte?«
Jordi beugte sich über den Tisch. »Sie erzählt von einer mächtigen Stadt«, begann er. »Den Menschen dort fehlte es an nichts. Sie lebten in Reichtum und Wohlstand. Es war eine Stadt des Lichts und die Schatten, die dort lebten, waren arm und ohne Freude. Sie wurden von den Menschen mit Füßen getreten und niemand achtete sie. Sie mussten tun, was man ihnen befahl. Ja, nicht einmal bewegen konnten sie sich, wie es ihnen gefiel.«
Catalina musste an den Harlekin denken. Sie wusste sofort, dass sie diese Geschichte nicht mögen würde.
»Die Schatten versuchten mit den Menschen zu reden, doch niemand hörte ihnen zu. Denn für die Menschen waren die Schatten nicht lebendig. Sie waren nur Schatten, etwas, das entstand, wenn das Licht seine Spielchen trieb.«
Firnis, der die Geschichte wohl kannte, stellte zwei Tassen mit dampfendem Kaffee auf den Tisch, gleich neben den gemalten Eingang zum Haus der Nadeln.
»Dann waren die Schatten nicht böse.«
»Na ja, nicht unbedingt.«
Catalina nahm einen Schluck von dem heißen Kaffee und verzog das Gesicht dabei, so bitter schmeckte er. »Wie ging es weiter?«
»Am Ende erhoben sich die Schatten gegen die Menschen. Sie wollten nicht mehr länger nur die
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