Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt
denken?«
Sie antwortete schnippisch: »Nein, kann ich nicht.«
»Deine Mutter hat sie dir gestohlen.«
Mit halb offenem Mund starrte Catalina den seltsamen Mann an. »Das glaube ich nicht.«
Er hob eine Augenbraue, abschätzig. »Das dachte ich mir.«
Er musterte sie von oben bis unten und ihr gefiel sein Blick nicht. »Aber warum solltest du mir auch glauben? Ich tauche in der Verkleidung eines Harlekins auf, noch dazu in einer für dich recht misslichen Situation. Ich konfrontiere dich mit Dingen, die du vergessen hast.« Er zwinkerte ihr zu, was vertrauensselig wirken sollte, es aber irgendwie nicht war. »Natürlich fällt es dir schwer, mir zu glauben. Aber du wirst es tun.« Er grinste. »Denn du musst mir zuhören, weil du nicht fortlaufen kannst.«
Catalina war baff. Bildete sie sich den Kerl nur ein oder stand er wirklich da vor ihr und redete all dieses Zeug? Er war arrogant, stolzierte unter der Brücke herum, als gehöre ihm die Welt, und faselte etwas davon, dass ihre Mutter ihr . . . ja was? Dass sie Catalinas Erinnerungen gestohlen hatte? Unsinn!
Andererseits, und das war nicht unwichtig, er hatte ihr bisher nichts getan.
»Wer, in aller Welt, bist du?« Vielleicht war das eine gute Frage, um noch einmal von vorne zu beginnen.
»Ich bin, wie ich bereits sagte, Ramon Rocas. Ich diente Nuria Niebla, deiner Großmutter. Sie war es, die mich zu dir geschickt hat.«
»Warum erst jetzt?«
Er zuckte die Achseln. »Ich habe dich nicht früher gefunden.«
»Nein, das meine ich nicht. Warum soll ich die Erinnerungen erst jetzt wieder zurückbekommen?«
»Nuria Niebla dachte, dass es an der Zeit dafür ist.«
Catalina setzte sich auf und verzog das Gesicht dabei. Der Knöchel war noch immer geschwollen. »Wer ist sie? Wo lebt sie? Warum…?« Sie schüttelte den Kopf. Immer schön der Reihe nach. »Wer ist sie?«
Ramon Rocas stolzierte auf und ab. Seltsam ruckartig bewegte er sich und dann wieder geschmeidig wie eine Katze. Catalina wusste nicht, ob sie einer Täuschung erlag, aber sie glaubte wirklich zu sehen, dass ihm kleine Federchen aus dem Kopf herauswuchsen. Dort, wo der Haaransatz war, lugten winzige Federn aus der Haut heraus.
»Nuria Niebla war eine Kartenmacherin, wie deine Mutter eine ist.« Er lächelte. »Und wie du eine bist.« Er senkte den Blick und die Stimme, die so krächzte, wurde noch rauer und kratziger. »Jetzt ist sie tot.« Er schaute wieder auf. »Sie ist verbrannt. Ich war dabei. Doch vorher wollte sie, dass ich dich finde.« Ein wenig erinnerte er sie schon an einen Vogel. Es waren die Bewegungen, die ruckartig und irgendwie rabenartig waren. »Ich bin zur Cala Silencio geflogen. Dann hierher, in die singende Stadt.«
Catalina hob beide Hände in die Höhe. »Moment, Moment. Ich verstehe rein gar nichts mehr.«
Er schwieg.
Ja, es waren wirklich kleine Federn, die ihm oben am Haaransatz aus dem Kopf sprossen.
»Verständlich, verständlich«, murmelte er. »Nuria Niebla war eine Hexe und eine gute obendrein. Sie konnte das tun, was auch du zu tun vermagst.«
Er drehte den Kopf ruckartig in ihre Richtung. »Ich bin im Haus der Nadeln gewesen. Ich war einer der beiden Harlekins. Sich zu verkleiden war einfach. Ich dachte, dass ich dich so am schnellsten finde, indem ich mich unter die Schatten mische. Also verkleidete ich mich als einer von ihnen. Als ein Eistreter.«
»Eistreter?«
»So werden sie genannt. Weil dort, wo sie hintreten, die Luft förmlich zu Eis erstarrt.«
Catalina erschauderte allein bei der Erinnerung an die Harlekins. Woher, in aller Welt, wusste dieser Kerl das alles? Gut, er hatte unter ihnen gelebt, hatte sich in ihrer Mitte verborgen gehalten. Trotzdem! Etwas schien ihr nicht zu passen an dieser Geschichte.
»Du hast bereits getan, was du nie hättest tun dürfen. Das kompliziert die Sache ein wenig.«
»Was meinst du?« Es machte sie rasend, dass er so in Rätseln sprach. Und es machte sie noch rasender, dass sie einfach nur im Dreck saß und sich kaum rühren konnte.
Selbst wenn sie ihm hätte davonlaufen können – es wäre ihr nicht gelungen.
»Du hast gezeichnet. Die Casa de les Punxes ist nicht mehr länger dort, wo sie jahrelang gewesen ist. Es gibt einen Kanal, der vorher nicht dort war, und ein fast neu gestaltetes Viertel. Du hast die kleine Welt dort drüben verändert, dessen musst du dir bewusst sein.«
»Ich habe das nicht…« Sie stockte.
»Gewollt?«
Sie nickte.
»Du hast es aber getan!«
»Ich habe mich nicht
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