Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt
Güte, wäre er nur bei Catalina geblieben!
El Cuento blies ihm erneut ins Gesicht, diesmal heftiger. Konnte es sein, dass der Wind seine Gedanken las?
»Du hast ja recht«, grummelte Jordi.
Er setzte sich in Bewegung und rannte die schmale Treppe hinauf, fort von der Brücke, hinunter nach La Marina, wo im Hafenbecken die Meduza vor Anker lag. Inständig hoffte er, dass das Schiff Port Vell nicht bereits wieder verlassen hatte.
Nein, nein, nein.
Ihr war nichts zugestoßen. Das war es, was er glauben wollte. Und das war es, was er letzten Endes auch glaubte.
Er würde Catalina finden und befreien. Dieses Versprechen gab er sich selbst und Catalina, die ihn nicht hören konnte und doch da war, irgendwo dort, wo ein junges Herz schneller und schneller zu pochen begann.
Meduza
Karim Karfax stand auf der Brücke der Meduza. Die Sonne versuchte sich in den gründunklen Gläsern seiner Brille zu spiegeln, ohne Erfolg. Da war nur ein Schimmern, so schillernd spiegelnd wie das Wasser unter dem Kiel des Schiffes.
Karfax lächelte sein dünnes Lächeln und die Luft um ihn herum wurde kälter und schattiger.
Einer der Späher hatte ihm mitgeteilt, wo er Sarita Soleado finden würde. Endlich! Die Mannschaft bereitete das Schiff bereits auf den Aufstieg vor.
La Sombría würde zufrieden sein.
Karim Karfax, der, eingehüllt in seinen Ledermantel, frierend auf dem Deck der Galeone stand, ließ seinen Blick über den Hafen schweifen, hinüber nach La Marina – dann weiter nach Montjuic, das die Schatten schon fast in ihren Besitz gebracht hatten. Barcelona war noch immer die singende Stadt, aber das würde sie nicht mehr lange sein. Die Welt war im Wandel, nichts währte ewig.
Ein Grollen ließ die Luft vibrieren. Tief in den Eingeweiden der Meduza schaufelten die Sklaven Kohle in die Bäuche der Winderhitzer. Die Gebläsemaschinen erwachten langsam zum Leben. Dunst stieg aus ihren Mäulern auf und wehte bis hinauf in die Takelage. Die eisernen Schlünde und sich ringelnden Rohre waren den gezackten Seeschlangen der vergangenen Jahrhunderte nachempfunden worden. Schon immer hatte Karim Karfax ihren Anblick gemocht und sich gefragt, ob er wohl jemals einem dieser majestätischen Kreaturen begegnen würde.
Unruhig ging er an Deck auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Wie ein Panther im Käfig, so drehte er seine Kreise auf dem Deck der fliegenden Galeone.
Weiter vorne wurde ein Beiboot kielgeholt. Ein Eistreter und zwei seltsame Gestalten, die wie Schakale aus Papier und Mensch aussahen, betraten das Vorderdeck der Galeone. Die Schakale flankierten den Eistreter, der vor die Brücke trat und Bericht erstattete.
»Sie ist also wieder entkommen«, sagte Karfax. Das Mädchen hatte seine Gabe dazu benutzt, seinen Häschern zu entfliehen. Sie war geschickt darin, sich aus der Affäre zu ziehen, die Kleine.
Doch dieses Mal brachte die Neuigkeit Karfax nicht in Rage. Das Mädchen würde in eine Falle laufen, das war beschlossene Sache. Sie war noch immer ahnungslos.
Er drehte sich zum Steuermann um. »Nehmt Kurs auf die Sagrada Família.«
Der große Mann mit den vielen Ohrringen und den dunklen Zähnen nickte dem Kapitän zu.
Der Eistreter verließ die Brücke.
Karim Karfax betrachtete erneut die singende Stadt.
Die Türme der Sagrada Família stachen wie Dornen in das helle Blau des Himmels. Dort würde er Sarita Soleado finden. Und ihre Tochter würde früher oder später zu ihr kommen. Er lächelte und beugte sich vor, um die Decks zu überblicken. So oder so, er würde sie kriegen. Und die Schatten würden ihm dafür dankbar sein, das wusste er. Sie würden ihre Dankbarkeit in Loyalität ausdrücken und genau das war es, was ihn die ganze Zeit über lächeln ließ.
Die Familie Karfax würde wieder so mächtig und einflussreich werden, wie sie es einst gewesen war. Man würde Wälder abholzen und neue Galeonen bauen, fliegende Schiffe, die den Himmel bevölkern würden wie Wolken.
Die beiden Schakalmenschen, das hatte der Eistreter ihm mitgeteilt, waren die Angestellten in der Bibliothek gewesen. Es verwunderte Karim Karfax immer wieder aufs Neue, zu was die Schatten fähig waren, wenn man ihnen freie Hand ließ.
Pérez und Reverte, das waren die Namen, auf die sie in ihrem alten Leben gehört hatten. Sie hatten, glaubte man dem Eistreter, den Jungen verfolgt, aber seine Fährte verloren.
Das Grollen wurde lauter. Matrosen rannten umher. Anstelle von Augen hatten sie im Licht blinkende
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