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Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt

Titel: Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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fortgeführt haben. Bis es so weit war, folgte er dem Gewirr von engen Gässchen und tauchte in eine orientalische Welt ein, die Zeugnis davon ablegte, wie die Stadt in den uralten Zeiten des indischen Königreichs ausgesehen hatte.
    An den Resten der Stadtmauer lief er entlang, fegte durch eine schmale Gasse mit in den Wänden eingelassenen Keramiktafeln, rannte durch einen Hinterhof mit hebräischen Inschriften an den Türen. Er ließ den Carrer d’Avinyo links liegen und wandte sich in Richtung Port Vell. Ein Elefantenkopfgott glotzte ihn als Steinfigur an und zwei Straßen weiter sah er in einem Schrein eine kleine Affenstatue mit zwölf Armen.
    Inzwischen war er mitten im Zentrum von Barrio Gótico. Es wurde Zeit, die Spuren zu verwischen.
    Als Jordi eine Anhöhe nahe der Kathedrale erklommen hatte, hatte er einen Blick auf die beiden Bibliothekare werfen können. Unten in der Straße waren sie auf die Kirche zugelaufen. Im Sonnenlicht hatte er deutlich die schwarzen Flecken in den Gesichtern erkennen können, die seltsam verzerrt gewirkt hatten.
    Die Menschen in der Straße wichen furchtsam vor den beiden zurück. Sie liefen auf allen vieren, und das so schnell, wie ein Wolf es wohl getan hätte.
    Jordi hatte keine Ahnung, was aus Pérez und Reverte geworden war. Ganz anders als die übrigen Schattenaugenmenschen waren sie. Bösartiger. Und zudem wirkten sie, das musste er sich erschrocken eingestehen, intelligenter als die nur marionettenhaft agierenden armen Kreaturen, die von den Schatten berührt worden waren.
    Zum ersten Mal fragte sich Jordi, ob die Harlekins unterschiedliche Fähigkeiten besaßen. Bisher hatte er sie nur als Späher wahrgenommen, die die Leute mit ihren Schatten infizieren konnten. Doch anscheinend waren sie zu unterschiedlichen Dingen fähig.
    Der Junge beschleunigte seine Schritte. Was auch immer aus den beiden geworden war – er wollte ihnen nicht Auge in Auge gegenüberstehen, auf gar keinen Fall.
    Er durchquerte die Carrer del Vidre. Große Glasöfen brannten hier, selbst in der Mittagshitze. Männer mit Hüten saßen an Tischen im Sonnenlicht und bliesen Gläser in allen Formen. Ein Laden, der eine Kräuterhandlung war und »Herboristeria del Rei« hieß, rauschte an Jordi vorbei.
    An der Placeta del Pi schnappte sich Jordi einige Kleidungsstücke von einer Wäscheleine. Im Laufen zog er sich das frisch riechende Hemd über den Kopf. Mit der Hose gestaltete es sich schon schwieriger. Er musste an einer Häuserecke stehen bleiben und hoffte nur, dass ihm keiner beim Wechseln der Kleidung zusah.
    Dann rannte er weiter.
    Jetzt musste er nur noch seine eigenen Kleidungsstücke loswerden und ein Versteck finden.
    In der Carrer Petritxol fuhr eine Dampfdroschke an ihm vorbei, die langsam genug war, um das Hemd in den Gepäckkorb auf dem Dach zu werfen. Der Hose entledigte sich Jordi an einer Brücke, die sich über den Canal de la Mercè spannte. Eine rotbraune Gondel fuhr gerade unter der Brücke vorbei und Jordi ließ die Hose einfach fallen, sodass sie sich in der ausgestreckten Hand der kunstvollen Holzfigur am Heck des Bootes verfing.
    Das sollte genügen.
    Die Dampfdroschke fuhr nach Westen, die Gondel schipperte in den Osten Barcelonas.
    Jordi blieb kurz stehen und schöpfte Atem. Jetzt musste er sich nur noch verstecken und abwarten, was geschah.
    Er sah sich um und sein Blick fiel auf ein Haus mit einem seltsamen Briefkasten. Drei Schwalben befanden sich über dem Briefschlitz, und darunter hockte eine Schildkröte. Ein dicker Stapel von Briefen quoll aus dem Briefschlitz.
    Gut so! Es schien niemand zu Hause zu sein.
    Jordi prüfte den Efeu, der die Fassade bedeckte, und kletterte dann kurz entschlossen daran empor, bis er sich auf einen Balkon im ersten Stockwerk schwingen konnte. Dort versteckte er sich in einem blühenden Oleanderbusch.
    Die Fensterläden, das fiel ihm sofort auf, waren nicht richtig verschlossen. Im Notfall würde er sie leicht eindrücken können. Außerdem spannte sich eine recht stabil aussehende Wäscheleine vom Balkon bis zur Dachterrasse des Hauses auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Wenn sein Trick mit den Kleidungsstücken nicht funktionierte, dann wären da immerhin noch zwei Fluchtwege, von denen er hoffentlich einen würde nehmen können.
    So saß er da und wartete auf seine Verfolger.
    Er dachte an Catalina und fragte sich, ob sie wohl auch an ihn denken würde. Hatte er sie wirklich geküsst? Und sie ihn? War das tatsächlich passiert?

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