Malfuria. Das Geheimnis der singenden Stadt
passiert?«
»Ihre Kinder…« Wieder krächzte seine Stimme wie die eines Raben, der noch nicht zu weinen gelernt hatte.
Es war ein Moment, in dem Catalina klar wurde, dass sie eigentlich gar nicht erfahren wollte, was damals geschehen war.
»Ihre Kinder sind gestorben.« Die Worte fielen fast lautlos in die Stille wie schwere Steine in ruhiges Wasser. »Das ist der schreckliche Preis gewesen, den sie zahlen mussten. Den sie freiwillig gezahlt haben.«
Catalina erschauderte. Allein die Vorstellung daran konnte etwas in einem jungen Herzen zerbrechen lassen, das man nie wieder würde zusammenfügen können.
»Deswegen gibt es heute keine Hexen mehr. Die alten Familien starben aus.«
»Aber ich…«
»Du musst wissen, dass es nur eine einzige Hexe gab, die sich nicht nach Malfuria begeben hat.«
Catalina ahnte, was er sagen wollte. »Nuria Niebla.«
Ramon nickte. »Die anderen Hexen hassten sie dafür. Doch Nuria wollte ihr Kind nicht opfern. Niemals wäre sie bereit gewesen, diesen Preis zu zahlen. Sie versteckte sich mit ihrer Tochter Sarita auf einer Insel fernab der Handelsrouten.« Er machte eine Pause, ganz nachdenklich. »So ist es geschehen, so hat sie es mir erzählt. Das ist der Grund dafür, dass es heute keine Kartenmacherinnen mehr gibt.«
Die Schlussfolgerung lag auf der Hand. »Bis auf die Frauen in meiner Familie.«
»Du sagst es.«
»Und die Schatten…?«
»Sie machen Jagd auf dich, weil sie möchten, dass du etwas für sie tust.«
»Sie wollen mich dazu zwingen, ihnen eine neue Welt zu zeichnen?«
Er nickte. »Nuria glaubte das. Sie glaubte, dass die Schatten nicht auf ewig in unserer Welt leben können.«
»Was ist mit Nuria passiert?«
»Die Insel, auf der Nuria lebte, hat sich verändert. In einer einzigen Nacht ist die gesamte nördliche Küste eine andere geworden.« Er berichtete ihr von der Galeone und den Männern, die an Land gegangen waren.
»Wer hat das getan? Wer hat die Veränderungen auf der Insel herbeigeführt?« Etwas tief in ihr ahnte die Antwort, doch sie konnte es nicht aussprechen.
Er zuckte die Achseln. »Deine Mutter ist die Einzige, die dazu fähig war.«
Sie schüttelte den Kopf. Sie konnte nicht glauben, was sie da hörte. »Warum sollte sie so etwas tun?«
»Um den Erben des Hauses Karfax nach Eivissa zu locken. Der Arxiduc sollte Nuria finden.«
Catalina erinnerte sich an den Namen. Sie hatte in der Bibliothek von ihm gehört.
»Karim Karfax befehligt die Meduza, das fliegende Schiff, das drüben im Hafen liegt«, fuhr Ramon fort. »Er will sich die Schatten zunutze machen, damit sein Haus an Macht gewinnt.«
»Das ist alles?«
Er krächzte laut auf. »Das ist sehr viel. Die Familie Karfax ist von vielen Geheimnissen umwoben. Sie dienten der Kirche Konstantinopels und, wie man munkelt, auch damals schon den Schatten.« Er schwieg einen Augenblick lang, sodass nur das Geräusch des Wassers den Tunnel füllte. »Nuria glaubte, dass Karfax ursprünglich hinter deiner Mutter her gewesen ist. Erst die Veränderungen auf der Insel haben ihn nach Eivissa gelockt. Und diese Veränderungen zu bewirken, das konnte nur Sarita gewesen sein.«
»Catalina runzelte die Stirn. Irgendetwas stimmte nicht an dem, was er sagte, aber sie kam nicht drauf, was es war. »Du behauptest, dass Sarita Karfax bewusst auf eine falsche Fährte gelockt hat, ist es das? Um sich in Sicherheit bringen zu können?«
»Sich selbst und dich, natürlich.«
»Aber, das hieße . . . hat sie denn nicht gewusst, dass Karfax ihrer Mutter schaden würde?«
»Darauf«, sagte Ramon, »weiß ich leider auch keine Antwort. Nuria und ihre Tochter hatten kaum etwas miteinander zu tun. Was zwischen ihnen vorgefallen ist… ich habe keine Ahnung. Ich bin erst seit zehn Jahren in den Diensten Nurias.«
In Catalinas Kopf schwirrte es. Konnte das alles sein? Sarita hatte ihr nie von Nuria erzählt. Sie musste doch dafür einen Grund gehabt haben!
»Wenn es wirklich Sarita gewesen ist, die es getan hat«, dachte Catalina laut den Gedanken zu Ende, »musste sie dann nicht auch einen Preis dafür zahlen?«
»Es ist noch ein wenig komplizierter.« Er seufzte und vermied es, in Catalinas Augen zu schauen. »Denn man kann die Fähigkeit nur einsetzen, um jemanden zu helfen, den man liebt.«
»Aber du hast gesagt, dass man jemandem Schaden zufügt. Dass das der Preis ist.«
Er nickte und einige der Federn flogen durch die Luft. »Es muss nicht zwangsläufig die gleiche Person sein, glaube ich. Ich
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