Malice - Du entkommst ihm nicht
Kady. Wenn sie morgen seine Mail bekam, würde sie ihn panisch anrufen und feststellen, dass es ihm gut ging. Sie würde ihm niemals glauben, dass heute Nacht etwas Unerklärliches, Beängstigendes passiert war. Wenn er daran dachte, was er ihr in der Mail sonst noch geschrieben hatte, schämte er sich. Aber wenigstens war er ehrlich gewesen. Ehrlichkeit war ihm sehr wichtig.
Die Augen fielen ihm wieder zu, er zwang sich, sie offen zu halten.
Am Fenster stand eine hochgewachsene dunkle Gestalt.
3
Es war 02:2 2 Uhr, als Seths Handy auf dem Nachttisch klingelte. Das grün aufleuchtende Display tauchte das Zimmer in ein unheimliches Licht. Der Name des Anrufers blinkte schwarz. KADY.
Nach einer Weile schaltete sich die Mailbox ein. Kurz darauf klingelte es erneut und wieder sprang die Mailbox an. Irgendwann hörte das Klingeln auf und es wurde wieder still.
In der Ferne hörte man das klägliche Miauen einer Katze.
Kein schönes Geschenk
1
»Hi. Ich bin übrigens Justin.« Der Junge kniete sich neben das zerstört am Boden liegende Maschinenwesen, das gerade versucht hatte, Seth zu töten. Er griff in die Tasche seines Kapuzenshirts, zückte einen Schraubenzieher und machte sich daran, eine kleine Klappe auf dem Rücken des Robotertiers aufzustemmen.
»Ich bin Seth«, hörte Seth sich selbst sagen, als wäre es unter diesen Umständen völlig normal, sich höflich vorzustellen. Dabei war nichts mehr normal. Alles war so schnell gegangen, dass sein Gehirn kaum in der Lage war zu verarbeiten, was um ihn herum vor sich ging: der unheimliche Monsterzug, das am Boden liegende Roboterwesen, das Mädche n … das tote Mädche n …
Er hatte ihren Schrei gehör t – den letzten ihres Lebens. Als er zu ihr hingerannt war, war es schon zu spät gewesen.
Seth spürte einen Anflug von Panik. Noch lauerte sie in einem entfernten Winkel seines Bewusstseins, aber sie konnte jeden Moment ausbrechen und ihn überwältigen. Was er erlebte, konnte nicht real sein, es widersprach allen Gesetzen der Logik , es musste eine Sinnestäuschung sein. Möglicherweise war es ein hyperrealistischer Traum. Vielleicht hatte sich jemand einen Spaß daraus gemacht, ihn zu hypnotisieren.
Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass alles um ihn herum real war. Er spürte es mit all seinen Sinnen. Er roch den Gestank von Schmieröl, der aus den Rohren drang. Er hörte hinter den Mauern riesige Zahnräder mahlen. Er spürte die schmerzhaften Druckstellen von den Eisenklauen dieses Wesens auf seinen Schultern und das Gewicht des Schraubenschlüssels in seiner Hand.
Tall Jake hatte ihn also geholt und hergebracht.
»Was ist das für ein Ding?«, hörte er sich fragen.
»Das da? Das ist ein Zischler. Wir nennen sie so, weil sie solche zischelnden Geräusche machen.« Justin hatte es inzwischen geschafft, den Deckel auf dem Rücken des Zischlers zu öffnen. In seinem Inneren klemmte etwas, was aussah wie ein in Metall eingefasster, etwa zwölf Zentimeter langer Kristall. Justin drückte ihn aus der Halterung heraus, untersuchte ihn flüchtig und steckte ihn dann in seine Tasche.
»Da war ein Mädche n …«
»Ja, ich hab sie schreien gehört.«
»Wir sollten vielleicht irgendwas tun, ich hab nur überhaupt keine Ahnun g …« Er brach mitten im Satz ab.
»Wo ist sie?«
Seth führte ihn um die Ecke zu der Stelle, wo das Mädchen lag. Aber außer einem Haufen morscher Knochen, die in verdreckter Kleidung steckten, war fast nichts mehr von ihm übrig. Justin kniete sich seufzend neben das Skelett und schüttelte traurig den Kopf. Er beugte sich vor, hob einen Unterarmknochen auf und streifte das daran hängende Silberarmband ab.
»Kanntest du sie?« Seth musste wegschauen, weil er den Anblick des toten Mädchens nicht ertrug.
»Ja.« Justin wühlte in dem kleinen Rucksack, der neben dem Kleiderhaufen lag, und zog einen länglichen, weißen Papierstreifen hervor. Es sah aus wie ein Karussellticket von einem Jahrmarkt. »Du hast es geschafft, Tatyana«, murmelte er. »Du hast es geschafft.«
In der Ferne ertönte ein Scheppern, das von den Wänden des Bahnhofs widerhallte. Justin hob den Kopf, lauschte, steckte das Ticket ein und stand auf.
»Lass uns lieber verschwinden«, flüsterte er. »Hier sind wir nicht sicher.«
Ohne Seths Antwort abzuwarten, lief er zu der Stelle zurück, wo der zerbeulte Zischler lag. Seth folgte ihm, weil er nicht wusste, was er sonst hätte tun sollen.
»Mann, dem hast du’s aber gegeben«,
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