Malice - Du entkommst ihm nicht
ich mir noch ’nen Bruch. Das Biest hier ist nämlich verdammt schwer.«
Er schob sich, gefolgt von Seth, an Dan vorbei, der die Tür gewissenhaft hinter ihnen verriegelte.
Sie befanden sich in einem düsteren, kargen Vorraum, von dem aus mehrere andere, ähnlich geschnittene Räume abgingen. Vor einigen der leeren Türrahmen hingen zerrissene Decken, die denen, die hier lebten, wohl wenigstens ein bisschen Privatsphäre bieten sollten. In den Ecken stapelten sich zersplitterte Holzkisten, zerschlissene Decken, Blechnäpfe und anderer Abfall. Es roch säuerlich nach altem Schweiß.
In einem der Räume drängte sich ein Grüppchen Jungen und Mädchen um ein kleines Feuer, das in einem Drahtkorb brannte. Fast alle waren im Teenageralter, aber Seth sah auch einen Jungen, der höchstens zehn sein konnte. Er schmiegte sich an ein hohlwangiges Mädchen, das mit leerem Blick in Seths Richtung starrte.
»Willkommen in unserem trauten Heim«, brummte Justin. »Ist zwar kein Palast, aber wenigstens sind wir hier vor den Zischlern sicher. Rein oder raus geht es nur durch diese Tür.«
Er führte Seth durch einen der angrenzenden Räume in eine Art Werkstatt. Überall lagen Metallteile herum: Zahnräder, Schaltgetriebe, Federn, Kolben, Apparate, die gerade zusammen- oder auseinandergebaut wurden, ein einzelner Arm und eine Hand aus Messing, ein winziger, filigraner Aufziehvogel und ein Miniaturfahrzeug, das aussah, als hätte jemand einen Modellbausatz falsch zusammengebaut.
Justin ließ den Zischler scheppernd zu Boden fallen, streckte sich stöhnend und rieb sich den Rücken.
»Wie viele Leute leben hier eigentlich?«, erkundigte sich Seth.
»Zehn. Mit dir wären wir elf, falls du bleiben willst.« Justins Tonfall zeigte deutlich, dass es ihm egal war, ob Seth blieb oder nicht. »Die Leute kommen und gehen. Früher oder später versuchen immer wieder welche, hier rauszukommen.«
»Und wie kommt man wieder raus?«
»Zum Beispiel so, wie man reingekommen ist. Mit dem Zug.«
»Was? Man steigt einfach ein und fährt wieder zurück?«
»Nur wenn man ein Ticket hat. Sag mal, hast du Malice überhaupt gelesen, bevor du den Spruch gesagt hast?«, fragte Justin leicht gereizt. Er verschränkte die Arme und musterte Seth von oben bis unten. »Nein, lass mich raten. Ich wette, du bist einer von den Typen, die es nur als Mutprobe gemacht haben, hab ich Recht? Genauso siehst du aus.«
Seth ließ sich nicht provozieren. »Das ist eine lange Geschichte.«
»Na ja, ist ja auch egal. Ich erklär dir mal kurz das Wichtigste. Malice ist in verschiedene Zonen unterteilt. Es gibt das Haus des Todes, die Oubliette, das Labyrinth, den Terminus und noch ein paar andere Bereiche. Hier werden sie Domänen genannt. Jede Domäne hat mehrere Ausgänge, abe r …«
»Was für Ausgänge? Wohin führen die?«
»Nach draußen. Nach Hause. Zurück zu deiner Familie, deinen Freunden, zur Schule und so weiter. Wenn du dir ein Ticket besorgst, hast du eine Möglichkeit, rauszukommen. Ohne Ticket schmeißt dich der Schaffner sofort wieder aus dem Zug.«
Seth nickte. »Den hab ich auch kennengelernt.«
»Ziemlich unheimlicher Typ, was? Okay, weiter. Es gibt zwei Sorten von Tickets: schwarze und weiße. Mit den schwarzen kannst du innerhalb von Malice überall hinfahren. Also zum Beispiel in eine andere Domäne oder so. Aber mit dem weißen Ticket kommst du überallhin. Sogar nach Hause, wenn du das willst.«
»Du meinst, es gibt Leute, die das nicht wollen?«
Justin zuckte mit den Achseln. »Es gibt jedenfalls welche, die schon ein paar Jahre hier sind. Manche wollen nie mehr zurück.«
Seth dachte an das, was er gespürt hatte, als er im Badezimmer den Spruch gesagt hatte. Dass er nach Malice gewollt hatte. Aber da hatte er auch noch keine Ahnung gehabt, wie es hier wirklich zuging. Ihm war nicht klar gewesen, worauf er sich tatsächlich eingelassen hatte. Seitdem hatte er erlebt, wie ein Mädchen vor seinen Augen skelettiert worden war.
Plötzlich fiel ihm wieder der weiße Papierstreifen ein, den Justin aus ihrem Rucksack genommen hatte.
»Tatyana hatte ein weißes Ticket, oder?«
»Hatte sie. Aber du kriegst das nicht, das kannst du dir gleich abschminken«, entgegnete Justin scharf.
Seth hob beschwichtigend die Hände. »Hey, das war bloß eine Frage.«
Justin entspannte sich wieder. »Ist schon okay«, murmelte er. »Ich hab Tatyana echt gemocht. Ich hab sie nicht so gut gekannt, weil die beiden noch nicht so lange hier waren, abe r
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