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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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tun. Leicht mag es ja sein, nicht gerade jeden Gedanken, aber jedenzweiten Gedanken von einem Einstein, einem Faraday, irgendeinem Leuchtfeuer, einem Freud oder Liebig zu erraten, denn das sind doch Männer ohne wirkliche Geheimnisse. Die Schönheit aber und ihre Stummheit sind durchaus überlegen. Dieser Mechaniker, den ich nie vergessen werde, zu dem ich gepilgert bin, um die Rechnung am Ende doch zu verlangen, mehr nicht, er war mir wichtiger. Für mich war er wichtig. Denn es ist die Schönheit, die mir fehlt, sie ist wichtiger, ich will die Schönheit verführen. Manchmal gehe ich in einer Straße, und kaum sehe ich jemand, der mir überlegen ist, zieht es mich hinüber, hinunter, aber ist das natürlich oder normal? Bin ich eine Frau oder etwas Dimorphes? Bin ich nicht ganz eine Frau, was bin ich überhaupt? In den Zeitungen stehen oft diese gräßlichen Nachrichten. In Pötzleinsdorf, in den Praterauen, im Wienerwald, an jeder Peripherie ist eine Frau ermordet worden, stranguliert – mir ist das ja auch beinahe geschehen, aber nicht an der Peripherie –, erdrosselt von einem brutalen Individuum, und ich denke mir dann immer: das könntest du sein, das wirst du sein. Unbekannte von unbekanntem Täter ermordet.
    Unter einem Vorwand bin ich zu Ivan gegangen. Ich drehe so gern an seinem Transistor herum. Ich bin seit Tagen wieder ohne Nachricht. Ivan rät mir,doch endlich ein Radio zu kaufen, wenn ich schon so gerne Nachrichten oder Musik höre. Er meint, daß mir dann das Aufstehen am Morgen leichter fiele, wie ihm zum Beispiel, und in der Nacht hätte ich etwas gegen die Stille. Ich probiere, den Knopf langsam zu drehen, und suche vorsichtig, um zu erfahren, was herauskommen kann gegen die Stille.
    Eine aufgeregte Männerstimme ist im Zimmer: Liebe Hörerinnen und Hörer, wir haben jetzt also London an der Leitung, unser ständiger Berichterstatter Doktor Alfons Werth, Herr Werth wird uns jetzt gleich berichten aus London, noch einen Augenblick Geduld, wir schalten auf London um, lieber Herr Doktor Werth, wir hören Sie schon ganz klar, ich möchte Sie für unsere Hörer in Österreich über die Stimmung in London nach der Pfundabwertung, Herr Werth hat jetzt das Wort ...
    Bitte stell doch diesen Kasten ab! sagt Ivan, der jetzt kein Interesse für Stellungnahmen aus London oder Athen hat.
    Ivan?
    Was willst du denn sagen?
    Warum läßt du mich nie reden?
    Ivan muß eine Geschichte hinter sich haben, in einem Zyklon gewesen sein, und er denkt, auch ich hätte eine Geschichte hinter mir, die übliche, in der zumindest ein Mann vorzukommen hat und eine gehörige Enttäuschung, aber ich sage: Ich? Nichts,ich will doch gar nichts sagen, ich wollte nur zu dir ›Ivan‹ sagen, mehr nicht. Und fragen könnte ich dich, was du über Flitspritzen denkst? Hast du Fliegen im Haus?
    Nein. Ich versuche, mich in das Leben einer Fliege hineinzudenken oder in das Leben eines Kaninchens, das im Labor für einen Versuch mißbraucht wird, in eine Ratte, die man abspritzt, aber die doch noch einmal haßvoll zum Sprung ansetzt.
    Ivan sagt: Mit solchen Gedanken wirst du wieder nicht dazukommen, dich zu freuen.
    Ich freue mich jetzt eben nicht, ich habe manchmal keine Freude. Ich weiß, ich sollte mich öfter freuen.
    (Ich kann nur meiner Freude und meinem Leben, das Ivan heißt, nicht sagen: du allein bist die Freude und das Leben! da Ivan mir sonst noch schneller abhanden kommen könnte, der mir manchmal schon abhanden kommt, und das merke ich an diesem ständigen Entzug von Freude in diesen Tagen. Ich weiß nicht, seit wann Ivan mein Leben kürzt, und ich muß einmal anfangen, mit ihm zu reden.)
    Weil mich jemand getötet hat, weil mich jemand immerzu töten wollte, und dann habe ich angefangen, jemand in Gedanken zu töten, das heißt, nicht in Gedanken, es war etwas anders, es ist mit Gedanken nie viel zu tun, es ist dann anders gekommen, ich habe es sogar überwunden, ich tue auch nichts mehr in Gedanken.
    Ivan schaut auf und sagt ungläubig, während er die Verlängerungsschnur des Telefons reparieren will und mit dem Schraubenzieher eine Schraube lockert: Du? ach was, ausgerechnet du, meine sanfte Irre? Ja wen denn, wieso denn! Ivan lacht und beugt sich wieder über den Anschlußstecker, er biegt die Drähte vorsichtig um die Schraube.
    Erstaunt dich das?
    Aber nein, warum denn? In Gedanken habe ich schon Dutzende auf dem Gewissen, die mich geärgert haben, sagt Ivan. Die Reparatur ist ihm gelungen, es kann ihm jetzt völlig

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