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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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geschmeichelt aus. Es rührt aber aus dieser Zeit, daß der Reigen begonnen hat, der heute nicht mehr anonym ist. Aus dieser Seuche hervorgegangen muß man sich die Verhältnisse denken, die heute herrschen, warum Ödön Patacki etwa zuerst mit Franziska Ranner zu sehen war, dann Franziska Ranner aber mit Leo Jordan, warum Leo Jordan, der vorher mit Elvira verheiratet war, die dann dem jungen Marek geholfen hat, noch zweimal heiratete, warum der junge Marek dann Fanny Goldmann ruinierte,und sie wiederum vorher mit Harry sich zu gut vertrug und dann mit Milan wegging, aber der junge Marek dann mit dieser Karin Krause, der kleinen Deutschen, danach aber dieser Marek auch mit der Elisabeth Mihailovics, die dann an den Bertold Rapatz geraten ist, der wiederum ... Ich weiß das jetzt alles, auch warum Martin diese groteske Affäre mit der Elfi Nemec hatte, die später auch an den Leo Jordan geraten ist, und warum also jeder mit jedem zusammenhängt auf die absonderlichste Weise, wenn man es auch nur in wenigen Fällen weiß. Die Gründe dafür sind natürlich niemand bekannt, aber ich sehe sie schon, und man wird ja überhaupt einmal sehen! Aber ich kann das gar nicht erzählen, weil ich keine Zeit dazu habe. Wenn ich auch nur dran denke, welche Rolle das Altenwylsche Haus dabei gespielt hat, obwohl die Altenwyls sich dessen gar nie bewußt waren, man sich überhaupt in keinem Haus bewußt war, auch nicht bei der Barbara Gebauer, welche Anfänge zu welchem Ende dort stattfanden, durch welche törichten Redereien und zu welchem Ende sie das alles miteinander angerichtet haben. Die Gesellschaft ist der allergrößte Mordschauplatz. In der leichtesten Art sind in ihr seit jeher die Keime zu den unglaublichsten Verbrechen gelegt worden, die den Gerichten dieser Welt für immer unbekannt bleiben. Ich habe das nicht in Erfahrung gebracht, weil ich nie so genau hinsah und hinhörte, immer weniger hinhöre, aber je weniger ich hinhöre, desto erschreckender treten die Zusammenhänge für mich hervor. Ich habe über Gebühr gelebt, darum habe ich alle diese Friedensspiele, so geben sie sich nämlich aus, als wären es keine Kriegsspiele, in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit zu spüren bekommen. Die weltweit weltbekannten, auch die stadtbekannten Verbrechen erscheinen mir daneben so einfach, brutal, geheimnislos, sie sind etwas für die Massenpsychologen, für die Psychiater, die sie auch nicht eindämmen werden, sie geben den allzu Fleißigen und Kundigen nur plumpe Rätsel auf, ihrer grandiosen Primitivität wegen. Was sich hingegen hier abgespielt hat und noch abspielt, ist nie primitiv gewesen. Erinnerst du dich an jenen Abend? Einmal ging Fanny Goldmann überraschend früh und allein nach Hause, sie stand auf von einem Tisch, es war nichts vorgefallen, aber heute weiß ich, ich weiß ja. Es gibt Worte, es gibt Blicke, die töten können, niemand bemerkt es, alle halten sich an die Fassade, an eine gefärbte Darstellung. Und Klara und Haderer, ehe er gestorben ist, aber ich höre ja schon auf ...
    Eine Zeitlang, es war in Rom, sah ich nur Matrosen, sie stehen dort am Sonntag herum auf einem Platz, ich glaube, auf der Piazza del Popolo, wonachts Leute vom Land mit verbundenen Augen versuchen, geradeaus zu gehen, von dem Brunnen mit dem Obelisken aus, zum Corso. Es ist eine unlösbare Aufgabe. Auch in der Villa Borghese stehen Matrosen herum, aber noch viel mehr Soldaten. Sie schauen vor sich hin, sie haben diesen ernsten, gierigen Blick, in einen Sonntag gerichtet, der gleich vorüber sein wird. Es ist faszinierend, diese jungen Männer zu sehen. Eine Weile aber war ich einfach vor einem Mechaniker aus dem hinteren Erdberg befangen, er mußte einen Kotflügel von meinem Auto ausbiegen und die Karosserie vorn neu spritzen. Für mich war er undurchschaubar, von einem ganz tiefen Ernst, denk dir diese Blicke und diese vielleicht mühsamen, stockenden Gedanken! Ich ging noch einige Male in die Werkstatt und sah ihm zu bei allen möglichen Arbeiten. Ich habe nie mehr soviel Qual in jemand gesehen, soviel ernstes Nichtwissen. Etwas Undurchdringliches. In mir sind traurige aufzuckende Hoffnungen entstanden, traurige beklemmende Wünsche, mehr nicht, diese Burschen würden es ja nie verstehen, aber man will ja nicht verstanden werden. Wer will das schon!
    Ich war immer sehr furchtsam, eben nicht mutig, ich hätte ihm meine Telefonnummer, meine Adresse zustecken müssen, aber ich war vor ihm zu versunken in ein Rätsel und konnte es nicht

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