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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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  mm Hub, 28/32 PS -Leistung, Motor Nr. 287. Die Rückwand durch Splitter vom ersten (Bomben-)Attentat beschädigt, an der rechten Wagenwand der Durchschuß des Geschosses sichtbar, das den Tod der Herzogin herbeiführte, neben der Windschutzscheibe links die am 28. Juni 1914 geführte Erzherzogs-Standarte angebracht ...
    Mit dem Katalog des Heeresmuseums gehe ich durch alle Zimmer, die Wohnung sieht aus, als wäresie seit Monaten nicht bewohnt worden, denn wenn Malina allein ist, entsteht nirgends Unordnung. Wenn Lina öfter allein ist am Morgen, verschwindet, was auf mich hindeutet, in den Kasten und Schränken, es kommt kein Staub nieder, nur durch mich wird in wenigen Stunden wieder Staub und Schmutz aufkommen, es werden Bücher durcheinandergeraten, Zettel herumliegen. Noch liegt nichts herum. Anni habe ich vor der Abreise ein Kuvert hinterlassen, für die Post, die nach St. Wolfgang kommen könnte, es wird eine Ansichtskarte sein, keine besondere Überraschung also, ich brauche die Karte trotzdem, um sie hier in ein Fach legen zu können, neben Briefe und Karten aus Paris und aus München, obenauf mit einem Brief aus Wien, der nach St.   Wolfgang ging. Es fehlt mir noch der Mondsee. Ich setze mich vor das Telefon, warte und rauche, ich wähle Ivans Nummer, ich lasse es bei ihm läuten, er wird noch tagelang nicht antworten können, und ich könnte tagelang durch das ausgestorbene, sich erhitzende Wien gehen oder hier herumsitzen, ich bin geistesabwesend, mein Geist ist abwesend, was ist Abwesenheit von Geist? wo ist Geist, wenn er abwesend ist? es ist die Geistesabwesenheit innen und außen, es ist hier überall der Geist abwesend, ich kann mich hinsetzen, wo ich will, ich kann die Möbel betasten, ich könnte mich freuen, weil ich entkommen bin und wieder in derAbwesenheit lebe. Ich bin heimgekehrt in mein Land, das auch abwesend ist, mein Großherzland, in das ich mich betten kann.
    Es muß Malina sein, der anruft, aber es ist Ivan.
    Warum bist du denn, ich habe es dort versucht
    Ich habe plötzlich, es war dringend, ich bin eben
    Ist etwas, wir haben, ja, sie lassen dich grüßen
    Ich habe auch herrliches Wetter gehabt, es war sehr
    Du hast aber auch immer, wenn du aber unbedingt
    Schade ist es schon, aber ich muß leider
    Ich muß Schluß machen, wir müssen jetzt gleich
    Hast du mir eine Karte, hast du noch nicht, dann
    Ich schreibe dir in die Ungargasse, doch, bestimmt
    So wichtig ist es auch nicht, wenn du kannst, dann
    Kann ich natürlich, paß auf dich auf, mach mir keine
    Nein, bestimmt nicht, ich muß jetzt Schluß machen!
    Malina ist ins Zimmer gekommen. Er hält mich. Ich kann ihn wieder halten. Ich hänge an ihm, hänge mich fester an ihn. Ich wäre dort fast wahnsinnig geworden, nein, nicht nur am See, auch in der Zelle, ich wäre fast wahnsinnig geworden! Malina hält mich, bis ich ruhiger bin, ich habe mich beruhigt, und er fragt: Was liest du denn da? Ich sage: Ich interessiere mich, es fängt an, mich zu interessieren.Malina sagt: Das glaubst du doch selber nicht! Ich sage: Noch glaubst du mir nicht, und du hast recht, aber eines Tages könnte ich doch anfangen, mich zu interessieren für dich, für alles, was du machst, denkst und fühlst!
    Malina lächelt besonders: Das glaubst du doch selber nicht.
    Der längste Sommer kann beginnen. Es sind alle Straßen leer. In einem tiefen Rausch kann ich durch diese Ödnis gehen, an der Albrechtsrampe und auf dem Josefsplatz werden die großen Portale geschlossen sein, ich kann mich nicht entsinnen, was ich hier einmal gesucht habe, Bilder, Blätter, Bücher? Ich gehe ziellos durch die Stadt, denn beim Gehen wird es fühlbar, am deutlichsten fühle ich es, und mit einer Erschütterung, auf der Reichsbrücke, über dem Donaukanal, in den ich einmal einen Ring geworfen habe. Ich bin vermählt, es muß zu einer Vermählung gekommen sein. Ich werde nicht mehr auf Karten vom Mondsee warten, ich werde meine Geduld vergrößern, wenn ich so zusammengetan bleibe mit Ivan, ich kann das nicht mehr abtun von mir, denn es ist, gegen alle Vernunft, mit meinem Körper geschehen, der sich nur noch bewegt in einem ständigen, sanften, schmerzlichen Gekreuzigtsein auf ihn. Es wird für das ganze Lebensein. Im Prater sagt ein Parkwächter gefällig: Hier können Sie nicht länger bleiben, bei dem Gesindel in der Nacht, gehen Sie nach Hause!
    Ich gehe am besten nach Hause, ich stehe um drei Uhr früh an das Tor der Ungargasse 9 gelehnt, mit den Löwenköpfen zu beiden

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