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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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Gesicht, meine nackten Füße, ich mache die Augen wieder auf, um mich zu orientieren, denn ich will hier herausfinden, dann fliege ich hoch, denn meine Finger und Zehen sind zu luftigen himmelfarbenen Ballonen angeschwollen und tragen mich in eine Nimmermehr-Höhe, in der es noch schlimmer ist, dann platzen sie alle und ich falle, falle und stehe auf, meine Zehen sind schwarz geworden, ich kann nicht mehr weitergehen.
    Sire!
    Mein Vater kommt aus den schweren Farbgüssen nieder, er sagt höhnisch: Geh weiter, geh nur weiter! Und ich halte mir die Hand vor den Mund, aus dem alle Zähne gefallen sind, die liegen unübersteigbar, zwei Rundungen aus Marmorblöcken, vor mir.
    Ich kann ja nichts sagen, weil ich weg von meinemVater und über die Marmormauer muß, aber in einer anderen Sprache sage ich: Ne! Ne! Und in vielen Sprachen: No! No! Non! Non! Njet! Njet! No! Ném! Ném! Nein! Denn auch in unserer Sprache kann ich nur nein sagen, sonst finde ich kein Wort mehr in einer Sprache. Ein rollendes Gestell, vielleicht das Riesenrad, das Exkremente aus den Gondeln schüttet, fährt auf mich zu, und ich sage: Ne! Ném! Aber damit ich aufhöre, mein Nein zu rufen, fährt mir mein Vater mit den Fingern, seinen kurzen festen harten Fingern in die Augen, ich bin blind geworden, aber ich muß weitergehen. Es ist nicht auszuhalten. Ich lächle also, weil mein Vater nach meiner Zunge langt und sie mir ausreißen will, damit auch hier niemand mein Nein hört, obwohl niemand mich hört, doch eh er mir die Zunge ausreißt, geschieht das Entsetzliche, ein blauer riesiger Klecks fährt mir in den Mund, damit ich keinen Laut mehr hervorbringen kann. Mein Blau, mein herrliches Blau, in dem die Pfauen spazieren, und mein Blau der Fernen, mein blauer Zufall am Horizont! Das Blau greift tiefer in mich hinein, in meinen Hals, und mein Vater hilft jetzt nach und reißt mir mein Herz und meine Gedärme aus dem Leib, aber ich kann noch gehen, ich komme ins erste matschige Eis, bevor ich ins ewige Eis komme, und in mir hallt es: Ist denn kein Mensch mehr, ist hier kein Mensch mehr, auf dieser ganzen Welt, ist da kein Menschund unter Brüdern, ist einer denn nichts wert, und unter Brüdern! Was von mir da ist, erstarrt im Eis, ist ein Klumpen, und ich sehe hinauf, wo sie, die anderen, in der warmen Welt wohnen, und der Große Siegfried ruft mich, erst leise, und dann doch laut, ungeduldig hör ich seine Stimme: Was suchst du, was für ein Buch suchst du? Und ich bin ohne Stimme. Was will der Große Siegfried? Er ruft von oben immer deutlicher: Was für ein Buch wird das sein, was wird denn dein Buch sein?
    Plötzlich kann ich, auf der Spitze des Poles, von der es keine Wiederkehr gibt, schreien: Ein Buch über die Hölle. Ein Buch über die Hölle!
    Das Eis bricht, ich sinke unter dem Pol weg, ins Erdinnere. Ich bin in der Hölle. Die feinen gelben Flammen ringeln sich, die Locken hängen mir feurig bis zu den Füßen, ich spucke die Feuer aus, schlucke die Feuer hinunter.
    Bitte befreien Sie mich! Befreien Sie mich von dieser Stunde! Ich rede mit meiner Stimme aus der Schulzeit, doch ich denke, mit einer hohen Bewußtheit, es ist mir bewußt, wie ernst es schon geworden ist, und ich lasse mich auf den qualmenden Boden fallen, weiterdenkend, liege ich auf dem Boden und denke, ich muß die Menschen noch rufen können, und mit ganzer Stimme, die mich retten können. Ich rufe meine Mutter und meine Schwester Eleonore, ich halte die Reihenfolge genau ein, also zuerst meine Mutter, und mit dem ersten Kosenamen aus der Kinderzeit, dann meine Schwester, dann – (Beim Aufwachen fällt mir ein, daß ich nicht nach meinem Vater gerufen habe.) Meine ganze Kraft nehme ich zusammen, nachdem ich vom Eis ins Feuer gekommen bin und darin vergehe, mit einem schmelzenden Schädel, daß ich rufen muß in der hierarchischen Reihenfolge, denn die Folge ist der Gegenzauber.
    Es ist der Weltuntergang, ein katastrophales Fallen ins Nichts, die Welt, in der ich wahnsinnig bin, ist zu Ende, ich greife mir an den Kopf, wie so oft, erschrecke, denn ich habe Metallplättchen auf dem abrasierten Kopf und sehe mich erstaunt um. Um mich sitzen einige Ärzte in weißen Kitteln, die freundlich aussehen. Sie sagen übereinstimmend, daß ich gerettet sei, auch die Plättchen könne man mir nun abnehmen, mein Haar werde wieder wachsen. Sie haben einen Elektroschock gemacht. Ich frage: Muß ich gleich bezahlen? mein Vater bezahlt nämlich nicht. Die Herren bleiben freundlich, das

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