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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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schon genommen. Was wird werden aus mir, wenn ich jetzt erst anfange? wann kann ich abreisen, wienur? ich könnte hier noch rasch segeln lernen, aber ich will nicht. Ich will abreisen, ich glaube nicht, daß ich noch irgend etwas brauchen werde, daß ich für ein ganzes Leben verstehen muß, was Trimmen, Im Trimm, Beitrimmen bedeutet. Mir sind die Augen beim Lesen noch nie zugefallen, mir werden die Augen auch jetzt nicht zufallen. Ich muß nach Hause.
    Um fünf Uhr früh schleiche ich mich in die große Stube zum Telefon. Ich weiß nicht, wie ich Antoinette das Telegramm bezahlen soll, da sie nichts wissen darf von diesem Telegramm. Telegrammaufnahme bitte warten, bitte warten, bitte warten, bitte warten ... Ich warte und rauche und warte. Es klickt in der Leitung, eine junge lebendige Frauenstimme fragt: der Teilnehmer bitte, die Nummer? Ich flüstere furchtsam den Namen der Altenwyls und ihre Telefonnummer, die Person wird gleich zurückrufen, ich hebe beim ersten Ton das Telefon ab und flüstere, damit mich niemand im Haus hört: Dr. Malina, Ungargasse 6, Wien III. Text: erbitte dringend telegramm wegen dringender rückreise nach wien stop ankomme morgen abend stop gruß ...
    Ein Telegramm von Malina trifft am Vormittag ein, Antoinette hat keine Zeit und wundert sich flüchtig, ich fahre mit Christine nach Salzburg, die es ganz genau wissen will, wie es bei den Altenwyls war. Die Antoinette soll ja völlig hysterisch geworden sein, bis dorthinaus, der Atti sei ja ein lieber gescheiter Mensch, aber diese Frau mache ihn noch völlig verrückt. Ach was, sage ich, ich habe nichts davon bemerkt, ich wäre nie auf die Idee gekommen! Christine sagt: Wenn du natürlich lieber bei solchen Leuten, wir hätten dich doch selbstverständlich eingeladen, bei uns hättest du wirklich Ruhe gehabt, wir leben so schrecklich einfach. Ich schaue angestrengt aus dem Auto und finde keine Erwiderung. Ich sage: Weißt du, ich kenne eben die Altenwyls schon sehr lange, aber nein, es ist doch nicht deswegen, ich mag sie sehr gern, nein, anstrengend sind sie wirklich nicht, wieso denn anstrengend?
    Ich bin zu angestrengt, immer am Weinen auf dieser Fahrt, irgendwann muß doch dieses Salzburg auftauchen, nur noch fünfzehn Kilometer, nur noch fünf Kilometer. Wir stehen auf dem Bahnhof. Es fällt der Christine ein, daß sie noch jemand treffen und vorher einkaufen muß: Ich sage: Bitte geh, um Himmels willen, die Geschäfte sperren doch gleich zu! Ich stehe endlich allein da, ich finde meinen Waggon, diese Person widerspricht sich doch immerzu, ich widerspreche mir auch. Warum habe ich bisher nie bemerkt, daß ich Leute fast nicht mehr ertragen kann? Seit wann ist das so? Was ist aus mir geworden? Ich fahre betäubt über Linz und Attnang-Puchheim, mit einem auf und ab schwankenden Buch in der Hand, ECCE HOMO . Ich hoffe, daß Malina an der Bahn steht, aber es steht niemand da, und ich muß telefonieren, aber ich telefoniere nicht gern von Bahnhöfen, von Telefonzellen oder von Postämtern aus. Aus Zellen schon gar nicht. Ich muß einmal in einem Gefängnis gewesen sein, ich kann nicht von einer Zelle aus telefonieren, auch nicht mehr aus Kaffeehäusern, auch nicht aus Wohnungen von Freunden, ich muß zu Hause sein, wenn ich telefoniere, und niemand darf in der Nähe sein, höchstens Malina, weil er nicht zuhört. Aber das ist etwas ganz anderes. Ich telefoniere, vor Platzangst schwitzend, aus einer Zelle vom Westbahnhof. Es darf mir hier nicht passieren, ich werde ja wahnsinnig, es darf mir nicht in einer Zelle passieren.
    Hallo, du, ich bin es, danke vielmals
    Ich könnte aber erst um sechs auf der Westbahn
    Bitte komm, ich flehe dich an, geh doch früher weg
    Du weißt doch, daß ich nicht kann, ich könnte
    Bitte, dann laß es bleiben, ich komme schon zurecht
    Nein bitte, was ist denn nur, wie klingst du denn
    Bitte, es ist gar nichts, laß es bleiben, ich sage dir ja
    Mach es doch nicht so kompliziert, nimm ein Taxi
    Wir sehen einander also heute abend, du bist also
    Ja, ich bin heute abend, wir sehen einander sicher
    Ich habe vergessen, daß Malina Journaldienst hat, und ich nehme mir ein Taxi. Wer will denn heute schon wieder dieses verfluchte Automobil sehen, in dem der Erzherzog Franz Ferdinand in Sarajevo ermordet wurde, und diesen blutigen Waffenrock? Ich muß einmal nachsehen in Malinas Büchern: Personenwagen Marke Graef & Stift, Zulassungsnummer A III – 118, Type: Doppel-Phaeton-Karosserie, 4 Zylinder, 115   mm Bohrung, 140

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