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Malina

Malina

Titel: Malina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Bachmann
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habe Zeit. Die Hauptsache ist, Sie sind gerettet. Ich falle noch einmal, ich wache zum zweiten Mal auf, aber ich bin doch noch nie aus dem Bett gefallen, und keine Ärzte sind da, meine Haare sind gewachsen. Malina hebt mich auf und legt mich zurück aufs Bett.

    Malina: Bleib ganz ruhig. Es ist nichts. Aber sag mir endlich: Wer ist dein Vater?
    Ich: (und ich weine bitterlich) Bin ich wirklich hier. Bist du wirklich da!
    Malina: Herrgott, warum sagst du immer ›mein Vater‹?
    Ich: Gut, daß du mich erinnerst. Laß mich aber lang nachdenken. Deck mich zu. Wer könnte mein Vater sein? Weißt du, zum Beispiel, wer dein Vater ist?
    Malina: Lassen wir das.
    Ich: Sagen wir, ich mache mir da eine Vorstellung. Machst du dir denn keine?
    Malina: Willst du ausweichen, willst du schlau sein?
    Ich: Vielleicht. Ich möchte auch dich einmal hinters Licht führen. Sag mir eines. Warum bist du draufgekommen, daß mein Vater nicht mein Vater ist.
    Malina: Wer ist dein Vater?
    Ich: Ich weiß es nicht, ich weiß nicht, wirklich nicht. Du bist der Klügere, du weißt doch immer alles, du machst mich noch ganz krank mit deinem Alleswissen. Macht es dich nicht selber oft krank? Ach nein, dich nie. Wärm mir die Füße, ja, danke, nur meine Füße sind eingeschlafen.
    Malina: Wer ist es?
    Ich: Ich werde nie reden. Ich könnte doch nicht, denn ich weiß es nicht.
    Malina: Du weißt es. Schwöre, daß du es nicht weißt.
    Ich: Ich schwöre nie.
    Malina: Dann werde ich es dir sagen, hörst du mich, ich werde es dir sagen, wer es ist.
    Ich: Nein. Nein. Nie. Sag es mir nie. Bring mir Eis, ein kaltes, feuchtes Tuch für den Kopf.
    Malina: (im Gehen) Du wirst es mir sagen, verlaß dich darauf.
    Mitten in der Nacht wimmert das Telefon leise, es weckt mich mit Möwenschreien, dann fauchen die Düsen der Boeingmaschinen darin. Der Anruf kommt aus Amerika, und ich sage, erleichtert: Hallo. Es ist finster, es knistert um mich herum, ich bin auf einem See, in dem das Eis zu tauen anfängt, es war der tief-tiefgefrorene See, und ich hänge jetzt mit der Telefonschnur im Wasser, nur an diesem Kabel noch, das mich verbindet. Hallo! Ich weiß schon, daß es mein Vater ist, der mich anruft. Der See ist vielleicht bald ganz offen, doch ich bin auf einer Insel hier, die weit draußen im Wasser liegt, sie ist abgeschnitten, es gibt auch kein Schiff mehr. Ich möchte ins Telefon schreien: Eleonore! will meine Schwester rufen, aber am anderen Ende kann nurmein Vater sein, ich friere so sehr und warte mit dem Telefon, untergehend, auftauchend, die Verbindung ist aber da, ich höre Amerika gut, im Wasser kann man noch übers Wasser telefonieren. Ich sage schnell, gurgelnd, Wasser schluckend: Wann kommst du, hier bin ich, ja hier, du weißt ja, wie fürchterlich es ist, es gibt keine Verbindung mehr, ich bin abgeschnitten, ich bin allein, nein, kein Schiff mehr! Und während ich auf Antwort warte, sehe ich, wie verdüstert die Sonneninsel ist, die Oleanderbüsche sind umgesunken, der Vulkan hat Eiskristalle angesetzt, auch er ist erfroren, es ist das alte Klima nicht mehr. Mein Vater lacht ins Telefon. Ich sage: Ich bin abgeschnitten, komm doch, wann kommst du? Er lacht und lacht, er lacht wie auf dem Theater, er muß es dort erlernt haben, so grausig zu lachen: HAHAHA . Immer: HAHAHA . So lacht doch kein Mensch mehr heute, sage ich, niemand lacht so, hör auf damit. Mein Vater hört aber nicht auf, dümmlich zu lachen. Kann ich dich zurückrufen? frage ich, bloß damit dieses Theater aufhört. HAHA. HAHA . Die Insel geht unter, man kann es von jedem Kontinent aus sehen, während weitergelacht wird. Mein Vater ist zum Theater gegangen. Gott ist eine Vorstellung.
    Mein Vater ist zufällig noch einmal nach Hause gekommen. Meine Mutter hat drei Blumen in der Hand, es sind die Blumen für mein Leben, sie sind nicht rot, nicht blau, nicht weiß, doch sind sie für mich bestimmt, und sie wirft die erste vor meinen Vater hin, ehe er sich uns nähern kann. Ich weiß, daß sie recht hat, sie muß sie ihm hinwerfen, aber ich weiß jetzt auch, daß sie alles weiß, Blutschande, es war Blutschande, aber bitten möchte ich sie um die anderen Blumen doch, und ich sehe meinen Vater in meiner Todesangst an, er reißt, um sich auch an meiner Mutter zu rächen, ihr die anderen Blumen aus der Hand, er tritt auf sie, er stampft auf allen drei Blumen herum, wie er oft aufgestampft hat in der Wut, er tritt und trampelt darauf, als gälte es, drei Wanzen zu zertreten, soviel geht ihn

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