Malka Mai
dann tauchte plötzlich die Mühle vor ihr auf. Das große, unbewegliche Rad war das Erste, was sie sah.
Chaim Kopolowici war ein frommer Jude mit einem langen Bart und Pejes und mit einem schwarzen Käpperle auf den grauen Haaren. Sein Kaftan war abgewetzt und schimmerte an manchen Stellen grünlich. Er schien die Situation gleich zu verstehen, denn er zog sie sofort in die Küche, noch bevor sie ein Wort sagen konnte. In der Küche drängten sich zwei kleine Jungen an ihre Mutter, als ihr Vater mit der fremden Frau hereinkam, ein Mädchen, etwa in Malkas Alter, schnippelte Gemüse, Karotten, Lauch, Sellerie. Frau Kopolowici war eine schöne Frau mit heller Haut und blauen Augen. Sogar unter dem unförmigen Kleid ließen sich ihre üppigen Formen ahnen. Auf den blonden Haaren trug sie eine blaue gestrickte Mütze. Sie bot der Fremden widerstrebend etwas zu essen und Tee an, aber Hanna wollte nichts essen, sie wollte nichts trinken, sie bat Kopolowici und seine Frau nur, ihr zu helfen, ihre kranke Tochter herzubringen, ein Kind, dessen Leben in Gefahr war, wenn sie nicht bald in ein Bett käme.
»Krank«, sagte Frau Kopolowici mit einem anklagenden Ton in der Stimme und riss ihre schönen Augen auf. »Krank, sagen Sie? Und wenn sie etwas Ansteckendes hat?«
»Ich bin Ärztin«, sagte Hanna. »Ich war in Polen Bezirksärztin, ich kann beurteilen, ob meine Tochter eine ansteckende Krankheit hat oder nicht. Sie ist erschöpft und hat offene Wunden an den Beinen, eine Infektion, das ist alles. Aber wenn sie noch lange dort liegen bleibt, kann sie eine Lungenentzündung bekommen. Bitte helfen Sie mir, Sie haben doch selbst Kinder.«
Frau Kopolowici zögerte, betrachtete ihre Kinder und nickte schließlich.
Chaim Kopolowici nahm einen Lodenmantel vom Haken im Flur und setzte seinen runden, schwarzen Hut auf. Sie liefen los, gegen den Wind, gegen den Regen, bis sie die Brücke erreichten. Minna saß noch immer unter den Steinpfeilern, an derselben Stelle, und hielt Malka im Arm. »Sie bewegt sich nicht«, sagte sie. »Mama, was ist mit ihr?«
»Hat sie gekrampft?«, fragte Hanna.
Minna schüttelte den Kopf. »Sie hat sich die ganze Zeit nicht gerührt.«
Das Gewitter hatte inzwischen nachgelassen, nicht aber der Regen. Kopolowici nahm Malka auf den Arm und lief los. Hanna folgte ihm, verwirrt, ohne klaren Gedanken, sie sah, wie ein Arm ihrer Tochter schlaff herabhing und bei jedem Schritt des Mannes hin und her pendelte. Dieser Anblick traf sie so sehr, dass er sie in die Wirklichkeit zurückholte. Mit ein paar Schritten hatte sie Kopolowici eingeholt und griff nach Malkas Hand. Sie war heiß und erwiderte den Druck nicht.
»Sie wird doch wieder gesund?«, fragte Minna neben ihr mit einer ganz kleinen Stimme.
Hanna drehte den Kopf zu ihr. »Natürlich wird sie wieder gesund«, sagte sie laut. »Sie hat sich erkältet und dazu die Sache mit ihren Beinen. Diese verdammten Sandalen, sie hätte gleich barfuß gehen sollen, das wäre besser gewesen.« Als sie sah, dass ihre große Tochter mit abgewandtem Kopf zuhörte und offenbar mit den Tränen kämpfte, sprach sie schnell weiter, überstürzt, um ihre eigene Angst zu übertönen. »Außerdem war es eine Dummheit, dass wir in Sommerkleidung weggelaufen sind. Aber es war so heiß und wir wussten ja nicht, dass wir über die Berge gehen würden. Die Berge sind furchtbar, am Tag schwitzt man sich die Seele aus dem Leib und nachts erfriert man fast.«
Minna antwortete nicht und Hanna fiel auch nichts mehr ein, was sie sagen konnte. Zum Glück tauchte die Mühle vor ihnen auf.
Frau Kopolowici hatte schon in einer Dachkammer, die eher aussah wie ein Verschlag und zu der eine Hühnertreppe hinaufführte, ein Bett vorbereitet, mit einem sauberen Laken und einer sauberen Decke. Hanna zog Malka das Kleid aus, löste ihr die Lappen von den Füßen und legte sie ins Bett. Malka kam zu sich und weinte, ihr Gesicht war rot, die Augen waren klein verquollen. Minna holte, auf Hannas Anweisung, Wasser und Tücher herauf und sie machte Malka Wadenwickel. Die Kleine weinte laut, als das kühle Wasser ihre heiße Haut berührte. Die Striemen an ihren Beinen sahen gar nicht gut aus, sie waren dick und entzündet, aber zum Glück gab es keine Anzeichen für eine beginnende Sepsis. Hanna streichelte ihre Tochter, bis sie aufhörte zu weinen und einschlief.
Erst als sie ganz ruhig atmete, trug Hanna Minna auf, den Wadenwickel in etwa einer halben Stunde zu erneuern, dann küsste sie
Weitere Kostenlose Bücher