Malka Mai
folgte dem Mann die Treppe hinunter. Er nahm eine brennende Stalllaterne, es war schon dunkel draußen, und ging mit ihr durch den Hof, vorbei an dem Schuppen und einen Hang hinauf. Dort, versteckt zwischen Bäumen, stand eine kleine, an den Berg gebaute Scheune.
Er schloss die Tür mit einem Schlüssel auf. Vorn in der Scheune war ein Verschlag, in dem zwei Kühe standen, im Raum dahinter stapelten sich auf der linken Seite Strohballen, auf der rechten lag Heu. Der Geruch war durchdringend.
Kopolowici ging zur Rückwand der Scheune, bückte sich, hob zwei, drei Säcke auf, die aber höchstens mit Heu gefüllt sein konnten, so leicht, wie sie zu sein schienen, und legte eine Tür frei. Er gab Hanna die Laterne und zog einen anderen Schlüssel aus der Tasche.
»Warum so geheimnisvoll?«, fragte Hanna leise.
Er schaute sie an. »Die ungarischen Gendarmen schließen Wetten ab, wer die meisten polnischen Juden fängt und nach Polen zurückbringt.« Er kicherte. »Wie viele waren’s denn heute bei dir? Zwölf? Ich hatte nur neun, aber warte, morgen bin ich wieder besser. Verstehen Sie? In Ungarn ist es gefährlich für polnische Juden und es ist auch gefährlich für die, die ihnen helfen. Glauben Sie ja nicht, dass es hier in Ungarn keine Antisemiten gibt, die haben wir auch, mehr als genug, ausgelöscht sei ihr Name.« Er spuckte über die linke Schulter. »Gott strafe die Feinde Israels. Am schlimmsten sind die Pfeilkreuzler 9) , vor denen müssen Sie sich hüten.«
9) Pfeilkreuzler: Name der faschistischen Nationalsozialisten in Ungarn.
Er machte die Tür auf, die so niedrig war, dass sie sich tief bücken mussten, und zog Hanna hinter sich her in eine fensterlose, in den Berg hineingebaute Höhle, die nur notdürftig von einer Petroleumlampe erleuchtet wurde. »Das ist sie«, sagte er laut und hob seine Stalllaterne hoch, vor Hannas Gesicht. Das Licht blendete sie, sie musste blinzeln.
»Frau Doktor Mai«, sagte eine Frauenstimme. »Sieh an, die stolze Frau Doktor, auf einmal ist sie ganz klein, was?«
Hanna erkannte die Frau sofort an der Stimme und an ihrer Art zu sprechen. Es war Rachel Wajs, eine reiche Jüdin aus Lawoczne, mit der sie schon mehrmals aneinander geraten war. Eine selbstgerechte, unangenehme Person, die über alle Frauen herzog, vor allem über diejenigen, die nicht so fromm lebten wie sie. Ihr Mann war ein reicher Kaufmann und im Ort wurde gemunkelt, er habe das ganze Geld mit Schmuggelware verdient. Hanna hätte sich am liebsten umgedreht und wäre hinausgegangen, aber das konnte sie sich nicht erlauben, sie brauchte die Hilfe der anderen.
Kopolowici senkte die Laterne und Hannas Augen gewöhnten sich an das Dämmerlicht, nun konnte sie die Leute erkennen. Sie saßen auf Bänken, die sich die Höhlenwände entlangzogen und offenbar auch als Schlafplätze dienten.
Es waren Schmuel Wajs und seine Frau Rachel, Efraim Kohen, ein Kohlenhändler, und seine Frau, außerdem das Ehepaar Frischman, Besitzer einer kleinen Wäschefabrik, in der viele Frauen von Lawoczne arbeiteten. Frau Kohen und Frau Frischman waren Schwestern. Den letzten, einen jungen Mann in den Zwanzigern, kannte Hanna nicht, er wurde ihr als Ruben vorgestellt, nur Ruben, ohne Nachnamen.
»Und wie haben Sie sich das vorgestellt, so ohne Geld?«, fragte Schmuel Wajs und seine Frau lachte hämisch.
Sie hat immer alles gehabt, dachte Hanna, sie hat nie für etwas arbeiten müssen. Ihr einziges Unglück war, dass sie keine Kinder bekommen hat. Aber sie hat einen Mann, der für sie sorgt, und die beiden anderen Frauen haben auch Männer. Nur ich bin allein und für alles verantwortlich. Sie unterdrückte den Hass, der plötzlich in ihr aufstieg, und erzählte schnell, wie sie der Aktion entkommen war und wie sie mit ihren Töchtern die Karpaten überquert hatte.
»Nicht schlecht für eine Frau allein«, sagte Mendel Frischman anerkennend.
Das machte Hanna Mut. »Bitte, nehmen Sie uns mit nach Budapest, ich werde arbeiten, ich werde Ihnen alle Auslagen zurückzahlen. Auch meine Tochter Minna kann arbeiten, nur Malka nicht.« Und dann berichtete sie von Malkas Gesundheitszustand, hastig, übertrieben optimistisch, sie sei ein zähes Kind, habe sich wacker gehalten auf dem langen Fußmarsch durch die Berge, das solle ihr mal jemand nachmachen …
Doch Frau Wajs unterbrach sie. »Malka ist ein Kind und noch dazu krank. Wie sollen wir sie mitnehmen? Sie wird uns aufhalten, sie wird Umstände machen, sie wird uns verraten. Kinder
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