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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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beschloss, die Kinder zu wecken. Sie mussten sich auf den Weg machen. Für die Kleine würde der Abstieg schwer werden, ihre Beine waren geschwollen, die Striemen hatten sich entzündet. Aber hier konnten sie nicht bleiben, auch wenn es noch so schön war. Vielleicht würde sie in Pilipiec einen Arzt finden, der bereit war, ihr Jod und steriles Verbandsmaterial zu geben. Als sie aufstand, sah sie, dass in der Ecke zwischen Bank und Haus, zwischen ein paar Kartäusernelken, die aus dem steinigen Boden wuchsen, ein zusammengerollter Igel lag. Sie wollte ihn Malka zeigen, das würde sie fröhlich machen und ihr Kraft geben für den Abstieg.
    Als Hanna die Hütte betrat, lag Minna mit offenen Augen auf ihrer Pritsche und lächelte ihr entgegen. Malka schlief noch. Sie lag auf der Seite, mit der Wange auf der Stoffpuppe, die sie Liesel nannte.
    Hanna setzte sich zu Minna auf die Pritsche und nahm ihre Hand. »Du musst mir helfen«, sagte sie leise. »Ich weiß nicht, wie wir es schaffen sollen, wenn du mir nicht hilfst.«
    Das Lächeln verschwand von Minnas Gesicht. Sie zog ihre Hand aus der ihrer Mutter und sagte: »Auf einmal bin ich kein Kind mehr, oder?«
    Hanna nickte und stand auf. »Ja«, sagte sie. »Auf einmal bist du kein Kind mehr.« Sie drehte sich um und weckte Malka.
    Malka wusste nicht , ob sie wachte oder schlief, als ihre Mutter sie an der Schulter berührte, denn auch im Traum war sie gerade von ihrer Mutter geweckt worden, zu Hause, in Lawoczne. Sie richtete sich auf. Vor sich sah sie nicht ihr Fenster mit dem Blumenvorhang, sondern dunkle Bretterwände, von denen Fetzen von Spinnweben herunterhingen. Sie meinte, immer noch zu träumen, und rieb sich die Augen, doch da war auch schon das Gesicht ihrer Mutter vor ihr, dieses neue Gesicht mit den zwei Falten von der Nase zu den Mundwinkeln, und alles fiel ihr wieder ein. Sie waren in Ungarn. Jossel Bardosz hatte sie gestern aus dem Haus hinter den Haselnusssträuchern hier heraufgeführt, auf die Berghütte.
    »Kommen wir heute an?«, fragte sie ihre Mutter, während sie die grobe Decke wegschob und ihre eingebundenen Füße auf den Boden setzte. »Sag, kommen wir heute an?«
    »Wo willst du denn ankommen?«, fragte ihre Mutter und hielt ihr ein Stück Brot hin.
    »Weiß ich nicht«, sagte Malka, »irgendwo.«
    Der Abstieg über die vom Tau nassen Wiesen war steil und glatt. Malka legte ihn fast kriechend zurück, denn immer wieder rutschte sie mit dem Wachstuch unter ihren Fußsohlen auf dem nassen Gras aus. Obwohl sie nicht mehr die Sandalen mit den Schnüren trug und obwohl ihre Beine und ihre Füße fest verbunden waren, taten sie ihr heute noch weher als an den Tagen davor, und die Fußlappen wurden allmählich nass.
    Sie hätte gerne geweint, wäre gerne wieder das Kind gewesen, das sie vor ihrer Flucht gewesen war, aber tief innen wusste sie, dass diese Zeit vorbei war. Etwas Neues hatte angefangen, etwas, das mit Krieg, den Deutschen, dem Judenstern und Worten wie Wehrmacht, Grenzschutz, Umsiedlung und Aktion zu tun hatte, Worte, die sie nur beiläufig wahrgenommen hatte, als sie noch zu Hause gewesen war. Wie lange war das eigentlich her? Sie tastete nach Liesel, die in ihrer Jackentasche steckte, und rutschte weiter hinunter, auf den breiten Saum aus Büschen zu. Nicht an die Schmerzen denken. Und nicht an zu Hause.
    Endlich erreichten sie den Fluss, der hier, in den Bergen, noch aussah wie ein breiter Bach mit einer starken Strömung. Große Steine lagen im Fluss, an denen sich das Wasser brach, und auf der Böschung, die vom Weg hinunterführte, wuchs hohes, dichtes Gras, ab und zu ein Strauch, eine Weide. Der schmale Weg führte am Ufer entlang. Er war zwar steinig, wand sich mit dem Fluss und wurde an manchen Stellen steil und unwegsam, aber Malka konnte hier jedenfalls besser laufen als über die Wiesen. Und das Rauschen des Wassers füllte ihren Kopf und machte es ihr leichter, nicht an zu Hause zu denken, nicht an die letzte Woche oder an den letzten Monat oder an das letzte Jahr.
    Sie versuchte, Lieder in dem stetigen Plätschern und Rauschen zu hören, Melodien, die ihr Olga früher vorgesungen hatte. Lieder, zu deren Rhythmus es sich leichter gehen ließ. Aber die Schmerzen in ihren Beinen wurden von den Stimmen des Flusses nicht übertönt.
    Gegen Mittag, das Tal war inzwischen viel breiter geworden, suchten sie sich eine schöne Stelle aus, um Rast zu machen. Sie saßen auf flachen Steinen am Fluss, vom Ufergebüsch gegen Blicke vom

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