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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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wunderte sich, wie das passieren konnte, dass man etwas hörte und doch nicht hörte und erst im Nachhinein wusste, dass man es gehört hatte.
    Draußen schien die Sonne. Malka schob die Hand aus dem Fenster und fühlte, dass es wirklich warm war. Eine ganze Weile lang blieb sie so stehen, schaute den Hühnern zu und lauschte auf ihr Gackern. Die meisten Hühner waren weiß, mit roten Kämmen und roten Kinnlappen, aber es gab auch braune Hühner und einige waren grau mit weißen Tupfen. Auf dem Misthaufen vor den Büschen scharrte ein Hahn. Hinter den Büschen musste der Fluss sein, Malka konnte ihn nicht sehen, wohl aber das Rauschen hören.
    Sie zog ihr Kleid an, ohne den Pullover, der zusammengefaltet vor ihrem Bett lag, neben neuen Fußlappen und neuen Schnüren. Dann setzte sie sich aufs Bett und wartete. Sie wartete lange, wackelte mit den Zehen, summte vor sich hin, zog Liesel die grüne Hose und das weiße Hemd, das inzwischen grau geworden war, aus und wieder an. Als immer noch niemand kam, legte sie Liesel unter die Decke und machte vorsichtig die Tür auf. Von einem kleinen Absatz aus führte eine Treppe, die nur aus schmalen Brettern bestand, steil nach unten. Barfüßig stieg sie die Stufen hinunter und stand in einer Diele, von der vier Türen abgingen. Durch ein kleines Fenster fiel Licht in die Diele und vor der Haustür lag ein schmutziges Tuch, an dem man sich die Füße abwischen konnte.
    Sie drückte die Haustür auf und trat hinaus. Die Sonne war warm und angenehm, sie spürte einen leichten Wind an ihren nackten Beinen. Und plötzlich fiel ihr ein, wie glücklich sie jedes Jahr gewesen war, wenn sie im Frühling zum ersten Mal die langen Strümpfe ausziehen und in Kniestrümpfen hinausdurfte. Was für ein wundervolles Gefühl das war, wenn man nach einem langen Winter die Luft an den nackten Beinen spürte und den Wind, der einem unter den Rock fuhr.
    Es waren so viele Hühner, dass sie gar nicht erst den Versuch machte, sie zu zählen. Sie liefen im Hof herum, in der angrenzenden Wiese, auf dem Misthaufen und zwischen den Büschen, hinter denen der Fluss liegen musste. Malka ging, vorsichtig der Hühnerkacke ausweichend, um das Haus herum und sah das Mühlrad. Aber es bewegte sich nicht. Der Seitenarm des Flusses, dessen Rauschen sie hörte, war trocken, aber sein Lauf war durch die Vertiefung und das besonders dichte, helle Gras, das darin wuchs, noch immer zu erkennen. Das Gerinne über dem Mühlrad war morsch geworden, ein Brett hatte sich gelöst und hing, nur noch an einer Stelle gehalten, herunter und bewegte sich, als es von einem Windstoß getroffen wurde.
    Malka kletterte den Hang hinauf und sah, dass auf der anderen Seite des Hauses ein eingezäunter Gemüsegarten lag, in dem eine Frau und ein Mädchen arbeiteten. Sie knieten zwischen zwei Beeten, so dicht nebeneinander, dass sich ihre gesenkten Köpfe zu berühren schienen. Das Mädchen hatte blonde Haare, die Haare der Frau waren unter einem dunklen Kopftuch verborgen. Malka rutschte den Hang hinunter, diesmal auf der anderen Seite des Mühlrads, und ging auf den Zaun zu. Die Frau und das Mädchen bemerkten sie nicht, sie arbeiteten ruhig weiter.
    »Guten Tag«, sagte Malka höflich und legte die Hand auf eine Zaunlatte.
    Die beiden Köpfe fuhren hoch, das Gesicht der Frau wurde rot vor Zorn und wütend fuhr sie Malka an: »Geh sofort wieder hinauf! Was fällt dir ein, wenn dich jemand sieht.«
    Malka wich zurück, drehte sich um und rannte zum Haus. Als sie um die Ecke bog, stolperte sie über einen Blecheimer, der dort lag, trat in Brennnesseln und in Hühnerkacke, rannte ins Haus, wischte sich die Füße an dem Tuch ab und lief die Treppe hinauf. Später, als sie auf ihrem Bett saß und nicht wusste, was sie machen sollte, war es ihr ganz recht, dass ihre Füße und ihre Unterschenkel bis zu den Knien brannten, es lenkte sie vom Nachdenken ab. Sie betrachtete den dicken Schorf, der sich auf den Striemen gebildet hatte, und popelte vorsichtig daran herum.
    Die Frau brachte ihr eine Suppe. Sie sah immer noch zornig und ablehnend aus.
    »Lass dich ja nicht mehr unten blicken«, sagte sie mit einer harten, bösen Stimme. »Die Gendarmen haben uns sowieso schon im Verdacht, dass wir Flüchtlingen helfen.«
    Malka zog die Schultern hoch und nickte und die Suppe aß sie erst, als die Frau den Raum verlassen hatte. Sie schmeckte fad und lauwarm, aber Malka hatte Hunger, deshalb leckte sie auch noch den Teller aus. Als sie dann am Fenster

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