Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
Vom Netzwerk:
Trainingshose. Sie zog sie an und stopfte das Kleid hinein. Die Hose war ihr noch nicht einmal zu groß, sie musste Jankel gehört haben, und fühlte sich warm und gut an.
    Während sie das Schlafzimmer verließ, in einem sauberen Wollschlüpfer und in der neuen Hose, den Mantel über dem Arm, dachte sie: Das ist kein Stehlen, das ist nur Nehmen. Sie war doch nicht schuld daran, dass es kälter geworden war. Sie machte die Schlafzimmertür fest zu.
    Im Flur lag ihre Matratze. Sie hob die Decke hoch, ihr Pullover war noch da, der Pullover von Frau Kowalska. Während sie ihn über die Jacke zog, nahm sie sich vor, nie mehr ohne ihren Pullover das Haus zu verlassen, auch nie ohne den neuen Mantel. Sie ließ sich auf die Matratze fallen, deckte sich mit dem Mantel zu und griff in ihre Jackentasche, um Liesel herauszuholen, der einzige Trost, der ihr geblieben war.
    Aber Liesel war nicht da, auch nicht in der anderen Tasche, sie musste bei Ciotka geblieben sein. Auf einmal war ihre Freude über die neuen, warmen Sachen verschwunden, der Verlust, der sie getroffen hatte, erschien ihr unerträglich, schlimmer als alles, was sie je erlebt hatte.
    In ihrer Tasche war nur der Apfel. Sie drehte ihn in den Händen hin und her, roch an ihm, fuhr mit dem Finger über die glatte, kühle Schale und weinte. Sie konnte sich nicht erinnern, je so geweint zu haben.
    Sie liefen einen Hangweg entlang , als es passierte. Der Weg war nicht besonders schmal und der Hang nicht besonders steil, deshalb glaubte Hanna erst nicht an etwas Schlimmes, als sie hinter sich einen Aufschrei hörte, gefolgt von aufgeregten Stimmen. Sie drehte sich um. Frau Wajs, Frau Kohen und ihr Mann standen am Hang, nach vorn gebeugt, und fuchtelten mit den Armen. Hanna lief zurück. Ein paar Meter unter ihnen lag Frau Frischman auf einem Felsvorsprung, zusammengekrümmt und offensichtlich verletzt. Ihr Mann rutschte schon den Hang hinunter und hatte sie bald erreicht. Er beugte sich über sie, redete auf sie ein, dann hob er den Kopf und rief: »Frau Doktor! Könnten Sie bitte kommen?«
    Das war gar nicht so einfach, der Hang war nicht besonders steil, aber rutschig und Hanna musste, als sie sich auf dem Gesäß nach unten gleiten ließ, immer wieder an ihrem Rock ziehen, damit ihre Beine bedeckt blieben. Sie meinte fast, die missbilligenden Blicke von Frau Wajs zu spüren, als ihre Knie doch einmal sichtbar wurden. Dann beugte sie sich über Frau Frischman.
    Die Frau hatte Abschürfungen an den Beinen, den Armen und dem Gesicht, aber das war es nicht, was sie so stöhnen ließ. Ihr linker Arm war auf eine untypische Art abgespreizt, sogar durch die Kleidung meinte Hanna, die veränderten Schultergelenkskonturen zu sehen. Sie kniete sich neben Frau Frischman und tastete über die linke Schulter der Frau, die jetzt laut aufschrie. Hanna spürte den Oberarmkopf, der nach hinten aus der Pfanne gerutscht war. »Tut mir Leid«, sagte sie leise. »Es wird Ihnen gleich noch weher tun, aber es muss sein. Sie haben sich den Arm ausgekugelt.«
    Sie war erschrocken, eine Schultergelenksreposition unter diesen Umständen war keine einfache Sache, zudem konnte sie nicht wissen, ob nicht Kapsel-und Bänderanteile zerrissen waren, aber sie musste es hinbekommen. Sie rief Herrn Wajs, den kräftigsten der Männer. Während er den Hang herunterrutschte, half ihr Herr Frischman, seine Frau auf den Rücken zu drehen und ihr den Mantel auszuziehen. Die Frau presste die Zähne zusammen, konnte aber einen Aufschrei nicht unterdrücken, als Hanna den Mantel über den verletzten Arm zog. Hanna kniete sich hin, öffnete der Frau die Bluse und schob sie zur Seite. Zum Glück war Frau Frischman zierlich, mit einer unauffälligen Muskulatur, der Oberarmkopf war deutlich zu sehen. Sie hatte sich offenbar nichts gebrochen. Hanna befahl den beiden Männern, die Frau festzuhalten. Herr Frischman warf sich über den unverletzten Arm seiner Frau, Herr Wajs umklammerte ihren Körper.
    Hanna stemmte einen Fuß in die Achselhöhle der Frau, packte den ausgekugelten Arm ein Stück oberhalb des Handgelenks und zog mit aller Kraft daran. Die Frau schrie vor Schmerz, aber Hanna zog und zog, bis sie spürte, wie sich die Kugel nach einer leichten Drehung nach vorn bewegte und mit einem leisen, schnalzenden Ton in die Pfanne zurückschnappte. »Geschafft«, sagte sie und ließ sich mit zittrigen Beinen auf den Boden sinken.
    Herr Frischman, der so weiß geworden war, als wäre er der Patient, wischte seiner

Weitere Kostenlose Bücher