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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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war es schon Abend. Sie brachte ein Brot und ein Stück Wurst mit und schnitt ein paar Scheiben für Malka ab.
    Nach dem Essen befahl sie Malka, ihre Sachen auszuziehen, und gab ihr ein lindgrünes Flanellnachthemd, das so lang war, dass sie nur gehen konnte, wenn sie es vorne hochhob und hinten hinter sich herzog wie eine Schleppe.
    Während Malka in dem Bett mit der riesigen, schweren Federdecke lag, wusch Ciotka in der Küche Malkas Kleider und hängte sie an einer Leine über dem Herd auf. Malka hörte vom Bett aus, wie Ciotka Wasser laufen ließ, wie sie vor sich hinmurmelte und hin und her ging.
    Malka zog Liesel das grau gewordene Unterhemd aus, stieg aus dem Bett und hielt es Ciotka hin. Ciotka lachte, nahm das Hemd, wusch es und hängte es zu Malkas Sachen. Dann zog sie sich aus und kam ins Bett. Ihr Nachthemd sah aus wie das, das sie Malka gegeben hatte, nur war es hellblau.
    Sie war so dick, dass die Matratze sich unter ihrem Gewicht senkte und Malka näher zu ihr rutschte. Sie roch nach Kernseife. Malka blieb unbeweglich liegen, doch dann streckte Ciotka den Arm aus und Malka legte den Kopf an ihre weiche, warme Schulter. »Schlaf gut, Kind«, sagte Ciotka und streichelte ihr über den Kopf.
    Es war ein seltsames Gefühl, bei einer fremden Frau im Bett zu liegen, es war wie bei Frau Kowalska und doch anders. Bei Frau Kowalska hatte sie erst morgens gemerkt, wo sie war, und da war es schon Zeit zum Aufstehen gewesen. Malka lag steif und starr da und wusste nicht, was sie machen sollte, doch plötzlich gab ihr Ciotka einen Kuss und zog sie näher an sich. Und da fing Malka an zu weinen. Ciotka fragte nichts, sie streichelte sie, bis sie eingeschlafen war.
    Auch am nächsten Tag sprach Ciotka nicht viel und Malka war das gerade recht, sie hatte Angst vor Fragen und wollte auch nicht erzählen, was sie gesehen hatte. Nicht daran denken und erst recht nicht darüber sprechen. Nach dem Frühstück wusch Ciotka Malkas Haare und kämmte sie, doch das war gar nicht so einfach. Das letzte Mal hatte sich Malka gekämmt, als sie bei Teresa war. Die Haare ziepten, als Ciotka versuchte, mit dem Kamm durchzukommen, und Malka traten die Tränen in die Augen. Schließlich nahm Ciotka eine Schere und schnitt ein paar besonders verfilzte Strähnen heraus.
    Tagsüber war Ciotka oft nicht da, dann war Malka allein in der Wohnung. Um sich abzulenken und um nicht daran denken zu müssen, was wäre, wenn Ciotka nicht wiederkäme, vielleicht nie wiederkäme, las sie in einem Buch mit biblischen Geschichten, das sie auf dem Küchenschrank gefunden hatte, das brachte sie auf andere Gedanken. Aber Ciotka kam immer wieder und jedes Mal brachte sie etwas zu essen für Malka mit, einmal sogar ein Stück Kuchen.
    An einem Tag klopfte es plötzlich an der Tür. Ciotka schob Malka ins Schlafzimmer und in den Kleiderschrank. Als die Tür hinter ihr zufiel und es dunkel wurde und sie hörte, wie der Schlüssel umgedreht wurde, war die Angst auf einmal wieder da. Malka zog einen Wintermantel über sich und hockte in der Dunkelheit, starr vor Schreck. Erst dachte sie, es sei eine Nachbarin, die Ciotka besuchen wolle, doch je länger sie in dem Schrank saß, umso wahrscheinlicher kam es ihr vor, dass es ein Deutscher sein musste, der gekommen war, um sie zu holen. Im Kleiderschrank roch es nach Kampfer, der Geruch kitzelte sie in der Nase und im Hals, sie musste husten. Krampfhaft hielt sie die Luft an, schluckte den Hustenreiz hinunter und würgte, dass ihr die Tränen in die Augen traten. Als Ciotka irgendwann, viel später, die Schranktür aufmachte und sie herausholte, konnte sie nur noch weinen.
    Am Tag darauf führte Ciotka Malka zum Fenster. Der Himmel war grau, es hatte geregnet, das Pflaster war noch nass. Ciotka deutete auf einen Kolonialwarenladen ein paar Häuser weiter, auf der anderen Straßenseite. »Wir dürfen nicht zu zweit aus dem Haus gehen, damit niemand misstrauisch wird«, sagte sie. »Geh jetzt hinunter und warte dort auf mich, ich komme gleich nach.«
    Malka zog folgsam ihre saubere Jacke an, Ciotka machte die Tür auf und spähte hinaus, und als niemand zu sehen war, schob sie Malka ins Treppenhaus. Malka ging die Stufen hinunter und aus der Haustür. Als sie die Straße überquerte, musste sie sich zwingen, nicht zu Ciotkas Fenster hinaufzuschauen. Sie fror, der Regen hatte Kälte mit sich gebracht. Sie zog sich die Jacke fester um den Körper und ärgerte sich, dass sie ihren Pullover im Ghetto zurückgelassen

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