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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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wieder zu sich kam, lag sie in ihrem Bett, bis an den Hals zugedeckt. Unter der Decke war sie nackt, sie spürte die raue Oberfläche der heißen Ziegelsteine, als sie die Beine bewegte, das Kratzen der scharfen Kanten. Später erfuhr sie, dass ihr Nachbar, der Schochet, alarmiert von Tanjas Geschrei, sie aus dem Wasser gezogen hatte. Auf die Fragen von der Frau Doktor und Minna gab Malka vor, sich an nichts zu erinnern, aber wenn sie die Augen zumachte, sah sie sich selbst mitten auf dem Steg, stolz und glücklich, und dann der Fall, der Sturz ins Wasser, die Angst. Ein Gefühl der Scham hatte sie daran gehindert, darüber zu sprechen, das Gefühl, etwas Schlimmes getan zu haben und dafür bestraft worden zu sein. Doch jetzt, hier im Keller, dachte sie nur sehnsüchtig an den Mantel mit dem weichen Fell und die Erinnerung an die heißen Ziegelsteine in ihrem Bett trieb ihr Tränen in die Augen.
    Sie wollte nicht an Lawoczne denken, lieber an die nächste Aktion. Bei der letzten war sie noch zu dumm gewesen und hatte nicht daran gedacht, sich warme Decken zu besorgen, aber bei der nächsten würde das ganz anders sein, denn inzwischen kannte sie sich aus und wusste, worauf es ankam. Eine Matratze würde nicht durch die Fensteröffnung passen, das war klar, aber ein Federbett zum Drauflegen und eines zum Zudecken, das wäre wunderbar. Federbetten konnte sie einfach durch das Fenster stopfen. Sie durfte es nur nicht vergessen. Und vielleicht zwei, drei Wolldecken als Matratze? Nach der Aktion hatte es überall Decken gegeben, Decken im Überfluss, aber damals hatte sie nur an Essen gedacht. Da hatte sie noch nicht gewusst, wie sich Kälte wirklich anfühlte.
    Am nächsten Morgen wachte Malka steif gefroren auf. Mühsam stemmte sie sich hoch. Ihre Beine und ihre Arme waren taub vor Kälte und taten weh, wenn sie sie bewegte. Trotzdem streckte und dehnte sie sich, bis sie fühlte, dass das Blut wieder anfing zu fließen. Sie musste sich zwingen, aus dem Versteck zu klettern, musste sich zwingen, zum Brunnen zu gehen und das kalte Wasser zu trinken und dann herumzulaufen, bis ihr allmählich wieder wärmer wurde und der Schmerz in ihren Gliedern nachließ. Zum Glück waren ihre Stiefel nun schon so ausgetreten, dass sie ihr noch passten, auch wenn sie zwei Paar Socken übereinander zog.
    Malka lief zwischen dem Brunnen und dem Garten, in dem der Mann Kartoffeln ausgemacht hatte, hin und her, hin und her. Beim Laufen war es leichter, nicht an Essen zu denken. Sie wusste ja, dass Gedanken an Essen das hohle Gefühl im Bauch nur noch schlimmer machten. Obwohl sie sich noch genau daran erinnerte, wie der Haferbrei und die Ziegenmilch bei Teresa geschmeckt hatten. Oder die Hühnersuppe bei den Kopolowicis. Oder das Essen bei der Hochzeitsgesellschaft und das Brot und die Wurst bei Ciotka. Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie sogar den Geschmack im Mund spüren.
    Sie bückte sich, riss ein paar Grashalme aus, die in einer Ritze zwischen den Pflastersteinen wuchsen, und steckte sie in den Mund. Der Grasgeschmack vertrieb die Erinnerung an alles, was sie früher einmal, vor langer Zeit, gegessen hatte. Sie kaute und kaute, bis die zähen Halme zu einem bitteren Brei geworden waren, und schluckte ihn hinunter.
    Als es gegen Mittag etwas wärmer wurde, setzte sie sich an den Gartenzaun. Im Unkraut wuchs eine Pflanze, die aussah wie eine wilde Möhre, und die Wurzeln der wilden Möhre konnte man essen, das hatte ihr Tanja gezeigt. Malka riss die Pflanze heraus, wischte die Wurzeln sorgfältig ab und schob sie in den Mund. Erst schmeckte sie nur nach Erde, doch dann drang langsam der Karottengeschmack durch, süß und voller Erinnerungen. Teresa hatte ein großes Beet mit Karotten im Garten. Bestimmt hatte sie inzwischen alle geerntet und wunderbares Gemüse daraus gekocht, mit Kartoffeln und Speck und ein paar Zwiebeln. Vielleicht riss Antek gerade jetzt den Mund auf, Teresa schob ihm einen vollen Löffel hinein und sagte: Einen Löffel für Marek, einen Löffel für Julek und einen Löffel für Malka … und Antek strahlte, als er Malkas Namen hörte.
    Malka schüttelte sich, griff in das Unkraut, riss es heraus, kaute Wurzeln und Blätter und schluckte alles hinunter, bis ihr schlecht wurde und sie zum Brunnen gehen musste, um die Übelkeit mit kaltem Wasser zu vertreiben.
    Erst als sie sich wieder besser fühlte, roch sie es. Neben dem Brunnen saß eine Frau, die Kastanien über einem Kohlenbecken röstete und verkaufte. Malka

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