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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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plötzlich aufgekommen war. Sie streckte die Hände vor und bewegte ihre steifen Finger. Einer der Männer, die um das Feuer saßen, schaute immer wieder zu ihr herüber, doch sie wich seinem Blick aus. Nur nicht wegjagen, dachte sie, das ist ein guter Platz, ich will hier bleiben. Sie verkroch sich in sich selbst und machte sich unsichtbar. Sie hatte gelernt, wie das ging. Man musste die Augen zumachen und in sich hineinkriechen, in das eigene Innere, dann konnte einen niemand sehen. Sie nahm an, dass sie dann von außen aussah wie ein Stein oder wie eine Stoffpuppe, obwohl sie von innen doch so leicht war, so hohl. Jedes Mal, wenn sie ein Windstoß traf, hatte sie Angst, in die Luft geweht zu werden, und zugleich sehnte sie sich danach.
    Sie sah sich durch die Luft schweben, über das Ghetto, über den arischen Teil von Skole. Aber sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte Ciotkas Haus unter den vielen Häusern nicht herausfinden, seltsamerweise noch nicht einmal die rettende Kirche. Der Wind trug sie Richtung Lawoczne, das wusste sie, auch wenn sie die Straßen und Dörfer und Wälder unter sich nicht erkannte, es musste Lawoczne sein, wohin er sie brachte.
    Da war der Wald und am Waldrand die Hütte. Sie sah Teresa vor dem Haus stehen und zum Himmel hinaufschauen. Teresa legte die Hand über die Augen und ließ sie plötzlich sinken. Marek!, rief sie. Julek! Schaut doch mal, ist das nicht Malka, die da oben fliegt? Marek und Julek kamen angelaufen und starrten mit offenen Mündern nach oben, zum Himmel, an dem Malka wie eine Wolke an ihnen vorbeischwebte und winkte. Wo ist Antek?, rief sie hinunter, ich möchte Antek sehen. Aber Teresa, Marek und Julek hörten sie nicht, sie winkten und winkten und waren bald hinter den Bäumen verschwunden.
    Dann flog sie über Lawoczne, sie sah das Haus, in dem sie früher gelebt hatte, das Gärtchen, den Bach, den Berg, hinter dem Kalne lag. Die Hügel unter ihr wurden höher, der Wind pfiff um ihre Ohren, ihr wurde schwindlig. Doch da tauchte der Hof von Frau Kowalska auf, sie konnte das Haus genau erkennen, den Stall, die Scheune. Und dahinter die Wiese mit den zwei Kühen und dem Kalb. Es war groß geworden.
    Lass mich runter, bat Malka den Wind, setz mich hier ab, bitte. Wenn sie schon nicht zu Teresa durfte, wollte sie zu Frau Kowalska. Aber der Wind pfiff und zischte: Nach Ungarn, nach Ungarn.
    In diesem Moment spürte Malka eine Hand an ihrer Schulter und machte die Augen auf. Der Mann, der sie vorher immer wieder angeschaut hatte, beugte sich über sie und hielt ihr ein in Zeitungspapier gewickeltes Päckchen hin. Malkas Nase war so empfindlich geworden wie ihre Augen, durch das Zeitungspapier roch sie Brot und Zwiebeln und gekochtes Ei. Ich muss mich bedanken, dachte sie, als sie das Papier abriss. Doch der Mann saß schon wieder bei den anderen und unterhielt sich mit seinem Nachbarn. Er hatte ein breites Gesicht mit einer großen Nase, großen Augen und einem großen Mund.
    Ich muss mir dieses Gesicht merken, dachte Malka, als sie anfing zu kauen. Ich darf es nie vergessen.
    Seltsamerweise ging ihr Bauchweh nicht weg, auch als sie das Brot gegessen hatte.
    Das polnische Flüchtlingslager war schlimm, doch nicht schlimmer, als Hanna es erwartet hatte. Ein paar hundert Menschen lebten am Rand der Stadt, in barackenähnlichen Gebäuden. Die sanitären Bedingungen ließen zu wünschen übrig, aber die Ernährung war ausreichend, höchstens etwas eiweißarm für Kinder und alte Leute. Polnische und ungarische Hilfsorganisationen kümmerten sich um die Flüchtlinge und vor allem gab es Medikamente, mehr als es in den letzten Jahren in Polen gegeben hatte. Hanna bekam einen Ordinationsraum und eine Krankenschwester, die ihr half.
    Der Leiter des Flüchtlingslagers hatte sie bei ihrem Vorstellungsgespräch nach ihrer Erfahrung gefragt und ob sie, eine Frau, sich das zutraue, ein Lager mit so vielen Menschen zu betreuen. Sie hatte ihren Ärger über diese überhebliche Frage unterdrückt, ihn kühl angeschaut und gesagt: »Ich war jahrelang Kreisärztin, ich kann alles, von Geburtshilfe bis zu Operationen. Im Notfall kann ich auch Zähne ziehen und einem Kalb auf die Welt helfen oder einen Bullen kastrieren.«
    Er hatte ein bisschen gequält gelacht. »Kastrationen werden hier wohl nicht nötig sein, aber das mit den Zähnen könnte schon mal passieren.«
    Hanna stürzte sich in die Arbeit. Die Vormittage verbrachte sie in einer Sanitätsstation, einer Art Notkrankenhaus, wo

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