Malka Mai
Brot hinein, bitte, aber sie brachte kein Wort heraus, schaffte es auch nicht, die Hand auszustrecken, wie sie es schon so oft getan hatte. Die Frau schob die Hand in die Tasche, das Papierrascheln wurde überlaut, schlug fast über Malka zusammen, dann kam die Hand heraus und hielt ihr ebenfalls ein Stück Brot hin. Malka wagte nicht, sich zu rühren. Die Frau nickte und lächelte, da packte Malka das Brot. Sie musste sich zwingen, langsam zu essen, am liebsten hätte sie das Brot hinuntergeschlungen. Aber dann würde sie es vielleicht ungenutzt wieder auskacken. Langsam kauen, das Brot fast im Mund zergehen lassen, damit auch das letzte Fetzchen Nährwert herausgelutscht wurde.
Als der Zug hielt, stieg die Frau mit den Kindern aus. An der Tür drehte sie sich noch einmal um und lächelte Malka zu, Malka lächelte zurück, dankbar für das Brot, das ihren Magen füllte. Sie wäre gerne mitgegangen, wagte es aber nicht. Im Zug fühlte sie sich sicher.
Er hielt noch einmal, Leute stiegen aus, andere kamen dazu. Malkas Kopf wurde immer verschwommener, vernebelter, fast als würden die Dampfwolken, die die Lokomotive ausstieß und die sie manchmal am Fenster gegenüber vorbeiziehen sah, sich um ihren Kopf sammeln, ihre Ohren verstopfen und ihre Augen vernebeln. Sie spürte den Drang, sich einfach fallen zu lassen, wusste aber, dass sie das nicht durfte, nicht jetzt. Erst nach der Aktion, dachte sie, wenn ich wieder in meinem Keller bin.
Und dann träumte sie, was sie alles nach der Aktion tun würde. Decken suchen. Wolldecken, Federbetten, Kissen. Und alles würde sie durch das Fenster schieben. Abends würde sie aufräumen, dazu brauchte sie kein Licht, und sich danach in ihr neues Bett legen. Dann, endlich, würde sie sich fallen lassen können in den Schlaf, einfach versinken, nichts denken, nicht aufpassen. Schlafen.
Als alle Leute ausstiegen, konnte Malka kaum gehen, so tat ihr der Bauch weh, sie musste sich an dem Geländer halten, als sie die Stufen hinunterstieg. Sie war wieder am Bahnhof in Skole, aber es war noch hell, sie durfte noch nicht zurück ins Ghetto. Zumindest eine Nacht musste sie wegbleiben, um sicher zu sein, dass die Aktion vorbei war.
Sie lehnte sich an einen Laternenmast, später klammerte sie sich an ihm fest, um nicht zusammenzusinken. Dann schaffte sie es nicht mehr, dazustehen und zu warten. Ohne sich umzuschauen, ob sie unbeobachtet war, schleppte sie sich in den Zug, der immer noch am Bahnsteig stand, und legte sich unter eine Bank. Lang ausgestreckt, presste sie sich fest an die Wand, bewegte sich nicht mehr und wartete. Hier unten war der Geruch nach Kohlenstaub noch deutlicher als oben.
Das Liegen tat ihr gut, langsam fühlte sie sich wieder besser. Sie überlegte gerade, ob sie sich nicht doch lieber hinsetzen sollte, weil sie nun schon wusste, wie man sich unauffällig unter anderen verhielt, da stiegen Leute ein, viele Leute, und setzten sich auf die Bänke. Malka sah nur Schuhe, Waden in Wollstrümpfen, Hosenbeine, ein Paar Männerschuhe mit einem Loch in der linken Ferse. Direkt vor ihr waren Kinderfüße, die in schwarzen Schuhen und braunen Strümpfen steckten. Das Kind musste noch klein sein, seine Füße baumelten zwischen der Bank und dem Boden in der Luft. Der Zug setzte sich in Bewegung. Hier unten fühlte sich das Rattern anders an, stärker und zugleich weicher. Sie schloss die Augen und überließ sich dem Schaukeln und dem vertrauten Geruch.
Ab und zu drangen Gesprächsfetzen an ihre Ohren. »Ich fahre zu meiner Tante ins Krankenhaus«, sagte ein Mann. »Sie ist operiert worden.«
Die Stimme einer Frau direkt über Malka, es musste also die mit den braunen Wollstrümpfen sein, die Mutter des Kindes, das mit den Füßen baumelte, antwortete: »Ach ja, Krankenhäuser. Ich bin letztes Jahr auch operiert worden, am Blinddarm, aber es war furchtbar …«
Und eine andere Frau, die Stimme kam von rechts, mischte sich ein und sagte: »Mein Vater hatte einen Schlaganfall und der Arzt hat ihn einfach sterben lassen, ich sage euch, der jüdische Arzt war schuld.«
Ein Mann, es war wohl der mit dem Loch in der Ferse, stieß einen abfälligen Ton aus und sagte: »Etwas Gutes haben diese verdammten Deutschen ja, sie sorgen dafür, dass wir unsere Juden loswerden.«
Malka wollte nichts mehr hören, sie kroch in sich zusammen, in die Höhle in ihrem Inneren, und machte sich unsichtbar. Sie wollte nichts mehr hören, nichts mehr sehen, spürte nur noch das Rattern des Zugs
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