Malka Mai
drückte. Während er ihren Bauch abtastete, fragte er sie nach ihrem Namen. »Malka Mai«, sagte sie.
Er horchte sie ab, untersuchte ihre Ohren, sie musste den Mund aufmachen, die Zunge herausstrecken und »aah« sagen und tief ein-und ausatmen.
Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch. »Gut«, sagte er, »du bist wieder gesund, du kannst nach Hause gehen. Wo wohnen deine Eltern?«
»Mein Vater wohnt in Erez-Israel«, sagte Malka schnell.
Er schaute sie an. »Das ist weit weg. Und wo ist deine Mutter?«
Malka senkte den Kopf. »In Ungarn.«
»Und wie heißt sie?«
Malka starrte auf die Fußbodenbretter, die einmal dunkelrot gestrichen gewesen waren, aber jetzt war die Farbe an vielen Stellen abgetreten und das nackte braune Holz schaute darunter hervor.
»Nun?«, fragte der Arzt ungeduldig. »Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
»Frau Doktor Mai«, flüsterte Malka.
Einen Moment blieb es still, sie hörte, wie er mit den Fingern auf die Tischplatte klopfte. »Doktor Hanna Mai aus Lawoczne?«, fragte er schließlich.
Sie nickte.
»Ich kenne deine Mutter«, sagte er. »Wir hatten früher schon mal miteinander zu tun. Und wie alt bist du?«
Malka gab keine Antwort.
»Du wirst doch wissen, wie alt du bist«, sagte er.
Malka hob den Blick und schaute ihn an. »Früher war ich mal sieben«, sagte sie. »Aber das ist lange her.« Dann starrte sie wieder auf den Boden.
Es blieb eine ganze Weile still, seine Finger hatten aufgehört zu trommeln. Schließlich sagte er: »Also gut, wir behalten dich hier, bei uns.«
Malka reagierte nicht, es war ihr egal. Sie blickte nicht hoch, auch als Schwester Rosa sie abholte und zurück in den Saal brachte. Sie zog ihre Schuhe aus, legte sich in Kleidern auf ihr Bett und drehte sich zur Wand.
Schwester Rosa zog Malka die Treppe hinunter, doch immer wieder musste sie sich umdrehen, weil Malka sich an das Geländer klammerte. Malka wollte nicht hinunter zu Schmulik, dem Hausmeister, sie wollte ihre Haare behalten. In ihren Ohren klang die Stimme der Frau Doktor, die sagte: Die schönsten Haare der Familie, nicht weißblond, nicht flachsblond und nicht rötlich, eine Farbe wie Gold. Malka stemmte sich mit aller Kraft gegen die Stufen. Erst als Schwester Rosa sich umdrehte und sie ins Gesicht schlug, einmal, zweimal, gab Malka auf. Mit hängenden Schultern ließ sie sich durch die Diele führen, in der Feldbetten standen, durch den Flur, in dem Matratzen auf dem Boden lagen, die Kellertreppe hinunter zu Schmuliks Werkstatt.
»Schmulik, da ist wieder eine«, sagte Schwester Rosa. »Alles ab.« Damit war sie verschwunden.
Der alte Mann nickte und stellte eine Schachtel auf den Tisch, in der sich Scheren und Rasiermesser befanden. »Schade um die schönen Haare«, sagte er. »Komm, Kind.« Er zog Malka zu sich, klemmte sie zwischen seine Knie und griff nach der Schere. »Was für eine schöne Farbe«, sagte er, »wie Gold.« Er roch nicht gut aus dem Mund.
Er hielt ihren rechten Zopf so fest, dass Malkas Kopf zur Schulter gezogen wurde. Sie hörte das knarrende Geräusch, als die Scherenblätter aufgingen, spürte das Metall an ihrem Hals und dann arbeitete sich die Schere säbelnd und schabend durch ihren Zopf. Das war ein Rucken und Zerren, so dass Malka das Gefühl hatte, es würde ihr der Kopf vom Hals gerissen. Plötzlich spürte sie einen Ruck und ihr Kopf war wieder frei. Schmulik legte den abgeschnittenen rechten Zopf auf den Tisch und griff nach dem linken. Malkas Kopf wurde zur anderen Seite gezogen, unerbittlich, sie konnte sich nicht wehren, und dann gab es wieder dieses schabende Geräusch, das Zerren an ihrem Kopf und das plötzliche Loslassen. Es war passiert.
Willenlos überließ sich Malka der Schere, sie sah, wie blonde Haarbüschel auf die Hosenbeine des alten Mannes fielen, auf den Boden, spürte das Kratzen des Rasiermessers. »Du hast Eiterpickel im Genick«, sagte der alte Schmulik, »die musst du Schwester Rosa zeigen, die hat man vorher nicht gesehen unter deinen Haaren.«
Er zog einen kleinen Spiegel mit grünem Rand aus seiner Hosentasche und fragte: »Willst du dich sehen?«
Malka antwortete ihm nicht. Ihr Kopf war leicht und fühlte sich fremd an, als würde er ihr nicht mehr gehören. Langsam hob sie die Hand und fuhr sich über den Kopf. Er war glatt und die kurzen Borsten, die an manchen Stellen zurückgeblieben waren, fühlten sich kratzig an, nicht weich wie bei einem frisch geschorenen Schaf. Wer wird mir jetzt noch etwas geben,
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