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Malka Mai

Malka Mai

Titel: Malka Mai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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ihr, er musste ihr gefolgt sein, ohne dass sie es gemerkt hatte. Sie zuckte zusammen, als sie seine Stimme hörte.
    »Weißt du, was ich mache, wenn eine Aktion kommt?«, sagte Schmulik, noch immer flüsternd. »Ich nehme die Unterlage aus dem Sarg, lege mich statt der Unterlage hinein, decke mich mit einem weißen Tuch zu und ziehe die Leiche über mich. Die Deutschen haben Angst vor Toten, sie haben Angst, sie könnten sich an einer Krankheit anstecken, deswegen machen sie den Deckel immer schnell wieder zu.«
    »Und wenn es mal keinen Toten gibt?«, fragte Malka, unwillkürlich ebenfalls flüsternd, und warf einen Blick auf die alte Frau, die kalt und starr und mit geschlossenen Augen dalag.
    »Tote gibt’s immer«, sagte Schmulik, »bisher hat es jedes Mal geklappt.«
    »Haben die Deutschen sie erschossen?«, fragte Malka und deutete auf die tote Frau. »Waren die Deutschen hier?«
    »Nein, sie hat Glück gehabt, sie ist einfach so gestorben, sie war alt«, antwortete Schmulik. »Oder glaubst du etwa, die Deutschen hätten sie in einen Sarg gelegt?«
    Er nahm ihre Hand. »Und jetzt zeig ich dir noch was.« Er machte am anderen Ende des Zimmers eine Holztür auf, sie gingen durch einen kurzen, breiten Gang, dann kam noch eine Tür und plötzlich standen sie auf einem kleinen Vorplatz, von dem eine Treppe hinauf in den Garten führte.
    »Früher, als das Haus noch ein Altersheim war«, sagte Schmulik jetzt wieder mit seiner normalen Stimme, »haben die Totengräber hier die Leichen abgeholt. Die anderen alten Leute sollten das wohl nicht sehen, vielleicht wären sie sonst unruhig geworden.«
    Er griff ihre Hand fester und ging mit ihr die Stufen hinauf. »Wenn es nötig ist, kannst du auf diesem Weg fliehen und dich irgendwo verstecken.« Er deutete auf ein paar Bäume. »Wenn Sommer wäre, könntest du raufklettern, aber im Winter geht das nicht, da würde dich jeder sehen.« Sie gingen noch ein paar Schritte bis zu einem hohen Lattenzaun, hinter dem sich ein großes Mietshaus mit vernagelten Fenstern erhob, von anderen Häusern waren nur die Dächer zu sehen. »Dort«, sagte er und hob den Arm, »zwischen den Büschen ist unten ein Loch im Zaun, siehst du es?«
    Malka nickte.
    »Wenn du dort durchkriechst, bist du auf der arischen Seite. So, wie du aussiehst, fällst du nicht auf, es könnte klappen.«
    Malka fuhr sich mit der Hand über ihren stacheligen Kopf und Schmulik sagte tröstend: »Viele Kinder sind kahl geschoren wegen der Läuse, du bist nicht die Einzige. Denk einfach nicht mehr dran.«
    Sie gingen wieder zurück.
    Als sie das Krankenzimmer betrat, sagte der Junge, der Mottel hieß: »Schaut doch mal, unsere Königin ist kahl geschoren. He, Malka, jetzt bist du nicht mehr besser als wir, jetzt kannst du ruhig mit uns reden.«
    Malka senkte den Kopf. Sie mochte Mottel nicht, sie hatte Angst vor ihm, obwohl er ihr nichts tun konnte. Seine Beine hingen kraftlos herab, wenn die Schwester ihn aus dem Bett hob und auf einen Nachtstuhl setzte. Mit gesenktem Kopf ging sie an ihm vorbei. Henja, das Mädchen mit dem kahlen Kopf und den riesigen Augen, saß in ihrem Bett und flickte ein Kinderhemd. Sie saß den ganzen Tag im Bett und flickte Sachen, die Schwester Zippi ihr brachte, und nur ab und zu schaute sie zu Mottels Bett hinüber. Sie lächelte Malka an. Malka lächelte nicht zurück.

Februar
    Hanna hatte in Budapest Kontakt zu einer Schmugglergruppe aus Bereksis bekommen, zu Leuten, die vom Handel mit Köpfchen lebten. Sie hatte ihnen alles Geld, was sie besaß, gegeben und sie hatten versprochen, eine Frau würde sie bis Bereksis bringen, mit dem Zug, und von dort aus würde man sie über die Grenze schmuggeln. Alles war vorbereitet. Dem Lagerleiter hatte Hanna gesagt, sie brauche zwei, drei Wochen Urlaub, ihre Mutter liege im Sterben, sie müsse unbedingt zu ihr. Er hatte ihr nur widerwillig freigegeben. Bevor sie sich morgens auf den Weg machte, besprach Hanna die Lage noch einmal mit Minna. Minna würde noch zwei Wochen hier in Korad bleiben. Wenn Hanna bis dahin nicht mit Malka zurück war, solle sie nach Budapest fahren, zum jüdischen Komitee, und dort auf ihre Abreise mit der Jugend-Alijah warten. Dann solle sie nach Erez-Israel fahren, zu ihrem Vater, der für sie sorgen würde. Hanna würde mit Malka nachkommen, sobald das möglich wäre.
    Im Zug nach Budapest fühlte sich Hanna so unsicher wie noch nie. Minna war kühl und distanziert gewesen, hatte keine Emotionen gezeigt und keine Angst,

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