Malka Mai
obwohl dieser Abschied doch ein Abschied für immer gewesen sein konnte. Hanna war sich über die Gefahr durchaus im Klaren. »Sie sind verrückt, in die Höhle des Löwen zurückzugehen«, hatte Frau Kohn, eine ihrer Bekannten in Budapest, gesagt. »Sie müssen sich mit der Situation abfinden, Sie haben noch eine andere Tochter, für die Sie die Verantwortung tragen.«
Es stimmt, dachte Hanna, es stimmt ja. Minna war noch nicht erwachsen, wer würde auf sie aufpassen, wenn ihre Mutter nicht mehr da war, wie würden sich die Polen im Lager ihr gegenüber verhalten? War Minna schlau genug, sich nicht zu verraten und die Fahrten zum jüdischen Komitee unauffällig genug zu planen? Voller Sorge dachte sie über Minna nach, bis sie merkte, dass sie es aus Angst tat, aus Angst vor dem, was sie sich vorgenommen hatte. Minna war groß genug und klug genug, sie würde es schaffen. Sie selbst musste sich auf ihr Vorhaben konzentrieren und durfte sich nicht von Ängsten bestimmen lassen, ihr Ziel war Polen.
Aber schon am selben Abend war sie wieder in Korad und erzählte Minna, was passiert war. Auf dem Bahnhof Josefvarosy hatte sie lange suchen müssen, bis sie die Frau gefunden hatte, die sie nach Bereksis bringen sollte, denn die Ungarin hatte sich eine blonde Perücke aufgesetzt und trug keine Brille wie an dem Tag, als sie alles verabredet hatten. Sie hatten sich zugenickt und Hanna war der Frau zum Bahnsteig gefolgt. In dem Gedränge hatte sie sie verloren und war voller Panik von einem Abteil zum anderen gelaufen, bis sie sie gefunden hatte und sich neben sie setzte.
»Ja, und dann?«, fragte Minna.
»Dann kam der Kontrolleur«, sagte Hanna. »Ich bat die Frau um meine Fahrkarte und sie sagte, sie habe sie mir doch schon gegeben.« Hanna legte die Hände vors Gesicht, als sie weitersprach. »Sie war so kurzsichtig ohne Brille, dass sie die Fahrkarte einer anderen Frau gegeben hat, von der sie meinte, ich sei es. Als der Kontrolleur schon fast bei uns war, hat sie auf Jiddisch zu mir gesagt: Steigen Sie schnell aus, sonst werden wir beide verhaftet. Da bin ich ausgestiegen und zurückgefahren, was hätte ich sonst auch tun können?«
»Bist du nicht gleich zu den Schmugglern gegangen und hast dein Geld zurückverlangt?«, fragte Minna.
»Doch«, sagte Hanna, »aber sie wollten mich nicht anhören, das Geschäft sei gemacht, fertig.«
»So etwas Dummes passiert auch nur dir«, sagte Minna giftig. »Wie viel Geld hast du ihnen denn gegeben?«
»Fast alles, was wir hatten«, bekannte Hanna. »Ich werde wieder schnorren gehen müssen.«
Minna sagte nichts mehr. Ihr Gesicht war abweisend und verschlossen, als sie nach ihrem Buch griff.
Malka lag in ihrem Bett und starrte in die Dunkelheit. Sie wurde immer sehr früh wach, früher als alle anderen im Zimmer. In diesem seltsamen Zustand zwischen Schlafen und Wachen wartete sie darauf, dass Schwester Rosa das Frühstück bringen würde, Tee und Marmeladenbrot. Malka hatte sich mit dem Krankenhaus abgefunden, weil sie mit ihrem geschorenen Kopf keine Wahl hatte. Nach dem Haareschneiden hatte sie ein paar Tage lang nur im Bett gelegen, unter die Decke verkrochen, bis sie sich daran gemacht hatte, das Krankenhaus nach einem geeigneten Versteck zu durchsuchen. Sie hatte sich alles genau angeschaut, genau jeden Gang, jedes Zimmer, alle Nebenräume und sogar den Dachboden. Der einzige Raum, der sich als Versteck eignen würde, war der Kellerraum mit den Toten und der gehörte schon dem alten Schmulik. Also hatte sich Malka mit ihrem Bett an der Wand abgefunden, zumindest fror sie nicht so wie im Kohlenkeller, obwohl sie manchmal Heimweh nach ihm hatte. Vor allem, wenn die anderen blöde Bemerkungen machten. Sie wollte nicht mit ihnen reden, was sollte sie auch sagen?
Seit sie Rafael kannte, war alles ein bisschen besser geworden. Sie hatte ihn zufällig gesehen, als sie in das Zimmer mit den Gitterbetten hineingeschaut hatte. Er hatte im Bett am Fenster gestanden, hatte sich an den Stäben festgehalten und sie angestrahlt, als sie langsam auf ihn zugegangen war. »Antek«, hatte sie gesagt. »Antek, wieso bist du hier?«
»Das ist nicht Antek«, hatte Schwester Zippi gesagt, die auf einem Stuhl saß und einem kleinen Kind die Flasche gab. »Das ist Rafael. Aber so eine Verwechslung passiert leicht, alle mongoloiden Kinder sehen sich ein bisschen ähnlich.«
Malka war am Bett des Kleinen stehen geblieben, hatte die Hand ausgestreckt und ihn zaghaft berührt. Er hatte ihre
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