Mallorca Schattengeschichten
schwer.
Der Beamte nickte. »Hatte ihre Frau eventuell Feinde?«
Jorge verneinte. Joana sei die liebenswürdigste Person gewesen, die er gekannt hatte. Er wischte sich die Tränen weg, die ihm vor Verzweiflung über die Wangen liefen.
Die Haustür war noch nicht ins Schloss gefallen, als Jorge begann, die Reste der Marmelade verschwinden zu lassen und die Einmachgläser in heißem Wasser auszukochen. Es hatte sich zwar um reine Routinefragen gehandelt, aber er wollte nichts riskieren.
Jorge wusste nicht, dass hinter den Fragen der junge Arzt steckte, mit dem Joana ein Verhältnis gehabt hatte, und der Jorge beschuldigte, Joana umgebracht zu haben.
Während Jorge sich einen weiteren Suau gönnte, durchsuchte die Polizei bereits sein Labor in der Universität. Der toxikologische Befund hatte eindeutig eine Arsenvergiftung ergeben.
Jorge fühlte sich elend. Der Sonderurlaub kam ihm gerade recht. Obwohl er die Beerdigung seiner Frau vorbereiten musste, verschlief er trotzdem die meiste Zeit des Tages.
Drei Tage später hielt Jorge eine geradezu rührende Rede an Joanas Grab. Er hoffe, der dreckige Schuft, der schuld am Tod seiner Joana sei, würde in der Hölle schmoren. Er stockte kurz, als er unter den Trauergästen den Comisario entdeckte. Der Schnüffler ließ ihn nicht aus den Augen, und in Jorge stiegen Beklemmungsgefühle auf, als der Beamte mit einigen Kollegen auf ihn zutrat.
Noch am Grab verhafteten sie Jorge wegen Mordes an seiner Frau. Jorge fing den eisigen Blick eines jungen Mannes auf, der zwischen den anderen Trauergästen stand. Erst war er sich nicht sicher, aber auf den zweiten Blick erkannte er in ihm Joanas Liebhaber. Unwillkürlich lächelte Jorge ihm zu.
Bei der Gerichtsverhandlung wies man Jorges Schuld zweifelsfrei nach. Wie er es angestellt hatte, ließ sich genau herleiten. Der mit Arsen versetzte Gelierzucker war bei der Hausdurchsuchung gefunden worden. Jorges Vermutung, Joana habe den Zucker verbraucht, erwies sich als falsch. Ein folgenschwerer Fehler. Obwohl es unzählige Arsenmischungen gab, war es für die Ermittler nicht schwer festzustellen, dass die chemische Zusammensetzung des Arsens aus Jorges Labor dieselbe war, wie die im Zucker untergemischte. Nur Jorge selbst hatte den Schlüssel zum Giftschrank.
Joanas Verhältnis zu dem jungen Arzt lieferte das Motiv. Eifersucht. Jorge schwieg. Er wusste, dass er Joana nicht aus Eifersucht, sondern aus gekränkter Eitelkeit umgebracht hatte. Doch seine Motive waren seine Sache. Das ging keinen etwas an. Als dann noch der Privatschnüffler gegen ihn aussagte, war sein Schicksal besiegelt.
Vier Monate später saß Jorge in seiner Zelle. Die wiederkehrenden Magenschmerzen steigerten sich mit jeder Attacke. Er hasste den ekelhaften Gefängnisfraß, von dem er sich häufig übergeben musste. Hinzu kamen starke Schmerzen im unteren Rückenbereich, und Jorge verfluchte die beschissene Matratze, bei der einem jede Sprungfeder ins Kreuz drückte.
Nach weiteren sechs Wochen klappte Jorge nach dem Mittagessen zusammen.
Als er auf der Krankenstation erwachte, stand ein junger Arzt neben ihm. Sein Gesicht kam ihm bekannt vor. Nur woher? Der Doktor teilte Jorge mit, er habe Tumore in den Nieren und auch am Magenausgang, was laut toxikologischem Gutachten, auf eine chronische Arsenvergiftung zurückzuführen sei.
Jorge entdeckte ein Lächeln auf den Lippen des Arztes, als dieser ihm mitteilte, er habe höchstens noch zwei Jahre zu leben. In dem Moment wusste er, wen er vor sich hatte. Joanas Liebhaber. Jorge schloss die Augen. Er konnte den zufriedenen Gesichtsausdruck nicht länger ertragen.
Auf der Krankenstation gingen die Lichter aus. Jorge starrte mit offenen Augen in die Dunkelheit. Wie war das möglich? Er hatte die Feigenmarmelade doch nie angerührt.
Jorge hatte nie beobachtet, wie Joana seinen Früchtetee zubereitete, den er täglich in der Thermoskanne mitnahm. Sie hatte ins kochende Wasser immer zwei gehäufte Teelöffel Feigenmarmelade gegeben, um dem Tee mehr Geschmack zu geben und ihn auf fruchtige Weise zu süßen.
Infancia feliz / Glückliche Kindheit
Toni und Fanny waren Halbgeschwister. Fanny war nur ein paar Monate älter als Toni. Dass sie ohne ihren Vater aufwuchsen, stand ihrer unbeschwerten Kindheit nicht im Wege.
Trotz desselben Vaters unterschieden sie sich optisch sehr; beide ähnelten ihren Müttern. Fanny war deutlich größer, wirkte schon fast erwachsen, während Toni einen noch
Weitere Kostenlose Bücher