Mallorca Schattengeschichten
Anker! Mal sehen, was vom Boot übrig bleibt«, schrie Peter gegen das Tosen an. »Die hundert Meter schaffen wir spielend.«
Das Boot zerrte an der Ankerkette.
Peter nahm ein Bein über die Reling. »Spring! Jetzt!«
Herbert zitterte. Seine Gedanken an Flucht von der Insel hatte der Sturm fortgerissen.
Ausgepumpt erreichten sie das Ufer. Ausgerechnet die Insel, die Herbert verlassen wollte, bedeutete nun seine Rettung. Er schüttelte den Kopf.
Vom Country Club klang laute Musik herüber.
»Na, wie ist es jetzt? Immer noch Sehnsucht, die Insel zu verlassen?«, keuchte Peter.
»Sollte ich je wieder einen Inselkoller bekommen, dann denke ich an heute. Verflucht, was bin ich froh, diese wunderbare Insel wieder unter meinen Füßen zu spüren.«
Justicia Gerechtigkeit
Jorge saß im Büro der Privatdetektei Álvaro in der Jaime III und starrte auf die Fotos vor sich. Sie waren ausnahmslos gut gelungen. Nur das Motiv gefiel ihm nicht im Geringsten. Mit reglosem Gesichtsausdruck nickte er, packte die Bilder in seinen Aktenkoffer und schob einen Umschlag mit Geld über den Tisch. Der Privatermittler legte das Kuvert neben sich auf die Akte und bedachte Jorge mit einem mitleidsvollen Blick, der sein Blut vor Wut zum Kochen brachte. Überflüssigerweise fragte der Ermittler noch, ob Jorge eine Rechnung benötige. Wozu? Damit irgendjemand über sie stolpern konnte? Um sie von der Steuer abzusetzen? Kopfschüttelnd erhob er sich aus dem Drehstuhl, ging zur Tür und verließ den Besprechungsraum ohne ein weiteres Wort.
Ein billiger Assistenzarzt also. Das würde sie noch bitter bereuen. Er fuhr von Palma in nördliche Richtung und bog von der Carretera de Valldemossa ab, um auf das Gelände der Universität zu gelangen.
Den freundlichen Gruß seiner Sekretärin ignorierend, betrat er sein Büro, blaffte, sie solle ihm umgehend einen Espresso bringen, und warf die Tür ins Schloss. Reglos saß er da und wartete, bis seine Mitarbeiterin den Kaffee servierte. Kaum war sie verschwunden, öffnete Jorge seinen Schreibtisch und zog eine Flasche Suau hervor. Ein ordentlicher Schuss Brandy im Kaffee war genau das Richtige. Bevor er den Suau wieder verstaute, nahm er einen kräftigen Schluck direkt aus der Flasche. Er klappte den Aktenkoffer auf und holte die Thermoskanne mit Früchtetee heraus, die ihm seine Frau stets zusammen mit dem Mittagessen einpackte. Der blanke Hass überkam ihn.
Den Umschlag mit den Fotos musste er vernichten. Doch vorher wollte er sich die Bilder nochmals ansehen. Seine Frau sah glücklich aus. Dieses bezaubernde Lächeln, das ihm von den Fotos entgegenlächelte, schenkte sie ihm schon seit Jahren nicht mehr. Eine Scheidung käme für ihn keinesfalls in Frage. Absolut indiskutabel. Wie würde es auch aussehen, wenn er bei den gesellschaftlichen Anlässen plötzlich ohne sie auftauchte? Und das, nachdem er erst letzten Monat, während der Rede auf seiner Preisverleihung, lauthals verkündet hatte, dass er diese Auszeichnung nur der Unterstützung seiner treu sorgenden und verständnisvollen Ehefrau zu verdanken habe. Er wäre das Gespött der ganzen Fakultät!
Zuerst musste er die Bilder verschwinden lassen. Er stand auf und ging ins Labor. Um diese Uhrzeit war er dort noch alleine. Er entzündete den Bunsenbrenner und hielt ihn an die Fotos. Die züngelnden Flammen bildeten Blasen auf der glänzenden Oberfläche der Abzüge. Erst verformten sie Joanas Stirn, später ihr komplettes Gesicht, bevor es schwarz wurde und zu Asche zerfiel.
Was sollte er tun, wenn er an diesem Abend in dieses Gesicht sähe? Nichts würde er machen. Gar nichts. Er würde am Abend heimgehen, Joana wie immer auf die Wange küssen und so tun, als wisse er von nichts.
Nachdem die Beweise zu Asche verbrannt waren, wusch er die Blechschüssel aus, und die schwarze Schleimmasse verschwand im Ausguss.
Anschließend hielt er zwei Vorlesungen, führte im Labor seine Forschungsexperimente durch und verließ überpünktlich das Universitätsgelände.
Als er seine Finca in Santa Maria betrat, musste er feststellen, dass seine Frau noch nicht zuhause war. Bestimmt rechnete sie nicht damit, dass er auch mal früher nach Hause käme, während sie es gerade noch mit ihrem kleinen Assistenzarzt trieb. Der Gedanke ließ ihn erschaudern.
Was wollte dieses vermaledeite Weib eigentlich noch? Er hatte studiert und geschuftet bis zum Umfallen, um ihr ein angenehmes Leben zu bieten. Dass Joana sich nach Aufmerksamkeit sehnte und mehr
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