Mallorca Schattengeschichten
forderte sie ihn auf.
»Also. Hier lebte eine Frau - alleine. Aurelia. Damals gab es in dieser Gegend noch keinen Strom, und sie benutzte natürlich Kerzen. Eines Nachts musste sie wohl vergessen haben, die Kerze auf dem Tisch zu löschen. Das Fenster stand offen, ein Luftzug warf die brennende Kerze um, und das ganze Haus brannte lichterloh.«
»Und Aurelia?«, unterbrach Vera.
Matti seufzte. »Man fand ihre Leiche im Schlafzimmer.«
Beide schwiegen.
»Und das erzählst du mir erst jetzt?« Vera knetete nervös ihre Hände.
»Wann hätte ich es dir sagen sollen? Bei der ersten Besichtigung? Beim Einzug? Es gibt dafür keinen richtigen Moment.«
»Trotzdem hättest du es mir sagen müssen«, schnauzte Vera.
»Vera ...« Matti fasste nach ihrer Hand. »Sei froh, dass dir Aurelias Schicksal erspart geblieben ist. Keine Ahnung, was es mit dem Wasser auf sich hat, und es ist auch egal. Jedenfalls hat es dir das Leben gerettet.«
Vera schaute ihn lange an.
»Ich muss dir noch was sagen ... ähm, manchmal habe ich das Gefühl, nicht alleine im Haus zu sein.«
Matti riss ungläubig die Augen auf. »Wie?«
»Ich ...« Vera seufzte. »Ich bin umgeben von etwas, einer Art Präsenz. Und es ist angenehm.«
Matti zeigte keine Reaktion.
»Hörst du mir überhaupt zu?«
»Ja, ... aber das klingt so - unfassbar.«
Vera breitete die Arme aus. »Ja, unfassbar, aber wahr. Ab und zu verspüre ich einen Lufthauch, obwohl alle Fenster und Türen geschlossen sind. Gerade so, als ob mir jemand über das Gesicht streicht.«
Matti runzelte die Stirn.
»Ach, man muss nicht immer alles erklären können.« Vera lächelte Matti an. »Allerdings habe ich gerade einen Entschluss gefasst. Keine Kerzen mehr im Haus.«
»Keine Kerzen mehr? Da predige ich seit Jahren ... aber egal, das Ergebnis zählt.«
Vera hakte sich bei Matti unter und zog ihn mit sich. »Ich brauche deine Hilfe. Ich will etwas anbauen.« Sie deutete zu einer Gruppe von Zypressen. »Hier hätte ich gerne eine kleine Natursteinmauer mit einer Nische und Blick zum Haus.«
»Warum?« Matti zog die Augenbrauen hoch. »Was willst du damit?«
»In die Nische stelle ich dann ein Windlicht mit einer großen Kerze. Und immer, wenn ich sie anzünde, denke ich dankbar an Aurelia.« Vera lächelte. »Meinen Schutzengel.«
El regalito / Weihnachtsgeschenk
Dinas Gesicht strahlte zum ersten Mal seit Wochen Ruhe und Gelassenheit aus. Weihnachten. Diese Zeit liebte sie. Der Gedanke, dass es ihre letzten sein würden, störte sie nicht. Nicht mehr. Alle Vorbereitungen waren getroffen. Sie war bereit. Bereit für alles, was noch kommen mochte.
»Du bist mir also wirklich nicht mehr böse?« Dinas Mann Gabriel drehte das Glas auf der Tischplatte hin und her.
Sie griff nach ihrem stillen Wasser, trank einen winzigen Schluck, bevor sie zurück in die Polster sank. Die Dialyse zwang sie, nicht zu viel zu trinken. Ihre Nieren hatten längst versagt.
»Ich konnte doch nicht ahnen, dass so was passiert«, bettelte Gabriel. »Es war …«
Dinas Augen blickten ihn ruhig an. »Es war Schicksal, ich weiß.« Von dir auferlegt, fügte sie in Gedanken hinzu. Deutlich hörte sie noch seine Worte: Alles bestens, ich habe die Rattenplage im Griff. Die Hüften der Nachbarin waren das Einzige, was Gabriel im Sommer fest im Griff gehabt hatte.
Von der anfänglichen Grippe hatte sie sich nicht mehr erholt. Immer schlechter war es ihr gegangen, bis sie zusammengebrochen war. Später erklärte ihr die Gesundheitsbehörde, eine mit Leptospirose infizierte Ratte hätte durch ihren Urin Lebensmittel kontaminiert, und die Krankheit so auf sie übertragen. Warum es nur sie getroffen hatte? Das war letztlich egal. Seine zerknirschte Miene verursachte ihr Übelkeit. Die geheuchelte Reue war unerträglich.
Gabriel schenkte nach. »Willst du nicht ein kleines Glas Punsch mittrinken? Es ist schließlich Weihnachten.«
Dina schüttelte den Kopf. Die Wärme des prasselnden Kaminfeuers erreichte sie nicht. Die innere Kälte ließ sich durch nichts mehr vertreiben. Trotzdem zog sie die Wolldecke fester um die Schultern. Für einen Moment schloss sie die Augen.
Ein Knall riss Dina aus dem Schlaf. Sie ärgerte sich, überhaupt eingeschlafen zu sein. »Verdammte Krankheit«, murmelte sie und sah sich neugierig um.
Gabriel krümmte sich am Boden und schnappte nach Luft. Neben ihm lag sein umgekippter Stuhl. Der Krug mit dem Punsch stand auf dem Tisch – beinahe leer.
»Ruf einen Arzt.
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