Malloreon 1 - Herrn des Westens
muß ihn verstecken«, erwiderte Ce'Nedra hartnäckig. »Sie wollen ihn töten.«
»Und so wirst du ihn töten! Er wird unter all diesen Kissen ersticken, Ce'Nedra. Nimm sie rasch wieder weg!«
»Aber…«
»Tu, was ich sage, Ce'Nedra«, befahl die Frau. »Sofort!«
Ce'Nedra wimmerte leise und machte sich daran, Kissen und Decken wieder aus der Wiege zu nehmen.
»So ist es besser. Jetzt hör mir zu. Du darfst nicht auf ihn achten, wenn er dir rät, so etwas zu tun. Er ist nicht dein Freund.«
Ce'Nedras Gesicht wirkte verwirrt. »Nein?«
»Er ist euer Feind! Er ist es, der Geran schaden möchte.«
»Meinem Baby?«
»Deinem Baby geht es gut, Ce'Nedra, aber du mußt gegen diese Stimme ankämpfen, die nachts zu dir spricht.«
»Wer…«, begann Garion, doch da drehte sich die Frau zu ihm um, und er riß vor Staunen den Mund auf. Die Frau hatte rehfarbenes Haar und warme goldene Augen. Sie trug ein einfaches braunes, fast erdfarbenes Gewand. Garion kannte sie, aus der Zeit, die ihm heute wie ein anderes Leben erschien. Damals hatte sie über ihn gewacht, so wie heute über seinen Sohn.
Tante Pols Mutter sah ihrer Tochter sehr ähnlich. Ihr Gesicht war von der gleichen ruhigen, makellosen Schönheit, und ihre Haltung war ebenso aufrecht und stolz. Doch an diesem Gesicht, das kein Alter verriet, war etwas Ungewöhnliches, fast eine Art von endlosem Bedauern, das Garion den Hals zuschnürte. »Poledra!« krächzte er. »Was…«
Tante Pols Mutter drückte einen Finger an die Lippen. »Weck sie nicht auf, Garion«, mahnte sie. »Bring sie ins Bett zurück.«
»Geran…?«
»Es ist ihm nichts passiert. Ich kam noch rechtzeitig. Führe sie jetzt ruhig ins Bett zurück. Sie wird nun ohne Furcht schlafen.«
Garion legte den Arm um die Schultern seiner Frau. »Komm mit, Ce'Nedra«, sagte er sanft.
Ihr Blick war immer noch leer, als sie nickte und folgsam mit ihm zum königlichen Schlafgemach ging.
»Könntet Ihr bitte das Nackenpolster ein wenig hochschieben?« bat Garion Poledra leise.
Sie lachte. »Leider nicht. Du vergißt offenbar, daß ich nicht wirklich hier bin, Belgarion.«
»Oh«, murmelte er. »Verzeiht. Es schien nur…« Er schob das Polster zurück, legte Ce'Nedra behutsam ins Bett und deckte sie bis zum Kinn zu. Sie seufzte und kuschelte sich zusammen.
»Gehen wir ins andere Gemach«, schlug Poledra vor.
Garion nickte und folgte ihr leise ins Wohngemach, das durch das niederbrennende Feuer noch schwach erhellt war. »Was hat das Ganze eigentlich für eine Bewandtnis?« fragte er und schloß lautlos die Tür.
»Jemand haßt und fürchtet euren Sohn«, sagte sie ernst.
»Er ist doch nur ein Baby!«
»Sein Feind fürchtet das, wozu er werden kann – nicht ihn, wie er jetzt ist. So etwas geschah schon früher, wenn du dich erinnerst.«
»Ihr meint, als Asharak meine Eltern tötete?«
Sie nickte. »Er wollte im Grund genommen lediglich an dich herankommen.«
»Aber wie soll ich Geran vor seiner eigenen Mutter schützen? Ich meine – wenn dieser Mann Ce'Nedra auf eine solche Weise im Schlaf zu beeinflussen imstande ist, wie kann da ich…«
»Es wird nicht mehr vorkommen, Belgarion. Dafür habe ich gesorgt.«
»Wie konntet Ihr das? Ich meine, Ihr seid doch - nun…«
»Tot? Das stimmt nicht ganz, aber es ist auch nicht so wichtig. Geran ist im Augenblick sicher, und Ce'Nedra wird dergleichen nicht wieder tun. Es ist etwas anderes, worüber ich mit dir sprechen muß.«
»Gut.«
»Du bist etwas Wichtigem ganz dicht auf der Spur. Ich kann dir nicht alles sagen, aber es ist unbedingt erforderlich, daß du dir den Mrin-Kodex ansiehst – den echten, nicht eine der Abschriften. Du mußt feststellen, was verborgen ist.«
»Ich kann Ce'Nedra nicht verlassen – nicht jetzt!«
»Sie kommt schon in Ordnung. Und das ist etwas, was nur du tun kannst. Reise zu dem Schrein am Mrin und lies den Kodex. Es ist von allergrößter Wichtigkeit!«
Garion straffte die Schultern. »Na gut«, gab er nach. »Ich breche gleich morgen früh auf.«
»Noch etwas.«
»Ja?«
»Nimm das Auge mit.«
»Das Auge Aldurs?«
»Nur mit ihm wirst du sehen, was du sehen mußt.«
»Ich verstehe nicht ganz.«
»Du wirst es, wenn du dort ankommst.«
»Na gut, Poledra.« Er verzog das Gesicht. »Ich weiß nicht, weshalb ich mich wehre, schließlich habe ich mein ganzes Leben lang Dinge getan, die ich nicht verstand.«
»Du wirst zur richtigen Zeit klarsehen«, versicherte sie ihm. Dann blickte sie ihn kopfschüttelnd an.
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