Malloreon 1 - Herrn des Westens
»Garion«, sagte sie in einem Ton, der so sehr dem Tante Pols glich, daß er automatisch ein schlechtes Gewissen bekam.
»Ja?«
»Du solltest nachts wirklich nicht ohne Morgenrock herumlaufen! Du wirst dich erkälten.«
Das Schiff, das er in Kotu heuerte, war klein, aber genau richtig für Flußreisen. Es hatte einen geringen Kielgang, war dickbauchig, und manchmal tanzte es auf den Wellen wie ein Stück Holz. Die Ruderer waren kräftige Burschen und kamen gut gegen die träge Strömung des Mrin an, der sich durch das Sumpfland schlängelte.
Bei Einbruch der Dunkelheit waren sie dreißig Meilen flußauf von Kotu, und der Kapitän vertäute vorsichtshalber das Schiff mit einer geteerten Trosse an einem abgestorbenen Baumstamm, der in Ufernähe aus dem Wasser ragte. »Der Fahrrinne im Dunkeln zu folgen ist zu gefährlich«, erklärte er Garion. »Nur eine falsche Biegung, und wir irren die nächsten Monate im Sumpf herum.«
»Ihr wißt, was Ihr tut, Kapitän«, sagte Garion. »Ich habe nicht vor, Euch dreinzureden.«
»Hättet Ihr Lust auf einen Krug Bier, Eure Majestät?« lud der Kapitän ihn ein.
»Keine schlechte Idee.«
Später lehnte Garion mit dem Krug in der Hand an der Reling, beobachtete die herumschwirrenden Lichter der Glühwürmchen und lauschte dem endlosen Froschkonzert. Es war eine warme Frühlingsnacht, und die feuchte, würzige Luft aus den Sümpfen füllte seine Nase.
Er hörte ein schwaches Platschen. Ein Fisch, dachte er, oder ein Otter.
»Belgarion?« Es war eine merkwürdige, piepsige, aber deutliche Stimme. Sie kam von außerhalb der Reling.
Garion spähte in die samtige Dunkelheit.
»Belgarion?« erklang die Stimme aufs neue. Sie war etwas unterhalb von ihm.
»Ja?« fragte Garion leise.
»Ich muß dir etwas sagen.« Wieder war ein schwaches Platschen zu vernehmen und das Schiff schaukelte leicht. Die Trosse, mit der das Schiff am Baumstamm vertäut war, tauchte ein wenig unter, ein verschwommener Schatten rannte auf ihr hoch und schwang sich geschmeidig über die Reling. Der Schatten richtete sich auf, und Garion konnte deutlich hören, wie das Wasser davon herabtropfte. Der Besucher war klein, kaum mehr als vier Fuß groß, und bewegte sich eigenartig schlurfend auf Garion zu.
»Du bist älter«, stellte der Kleine fest.
»Das ist der Lauf der Welt«, entgegnete Garion, der das Gesicht des anderen zu erkennen versuchte. Da glitt der Mond hinter einer Wolke hervor, und Garion starrte direkt in das pelzige, großäugige Gesicht eines Sumpflings. »Tupik!« rief er erstaunt. »Bist du es wirklich?«
»Du erinnerst dich an mich?« fragte das pelzige Wesen erfreut.
»Natürlich!«
Sogleich stieg die Erinnerung wieder in ihm auf, wie er bei seiner ersten Reise durch die unwirtlichen Sümpfe Drasniens mit seinen Gefährten in die Gewalt der Sumpfhexe geraten war. Nur durch einen mächtigen Zauber hatte Belgarath sie damals befreien können. Er hatte dem Volk der Sumpflinge, die in der Hexe Vordai eine Mutter, ja fast eine Göttin sahen, die Gabe der Sprache verliehen und sie so aus dem Reich der Tiere in das der Menschen geführt. Es mochte nur eine Episode in ihren langen Abenteuern gewesen sein, aber es war ein Werk der Zauberei gewesen, das selbst Belgarath nur mit Aldurs Hilfe hatte vollbringen können, und Garion hatte sich oft gefragt, was den Gott dazu bewogen haben mochte und welche Folgen diese Tat auf lange Sicht zeitigen würde. Und was aus den kleinen Sumpflingen von damals geworden war.
Wieder schaukelte das Schiff leicht, und noch ein Schatten huschte die Trosse hoch. Gereizt drehte sich Tupik um. »Poppi!« keckerte er verärgert. »Geh heim!«
»Nein«, antwortete Poppi ruhig.
»Du mußt tun, was ich sage!« Tupik stampfte mit den Füßen.
»Warum?«
Tupik starrte sie offensichtlich verwirrt an, dann fragte er Garion: »Sind sie alle so?«
»Alle was?«
»Alle Frauen«, sagte Tupik mißmutig.
»Die meisten ja.«
»Wie geht es Vordai?« erkundigte sich Garion.
Poppi gab einen kummervollen, wimmernden Laut von sich. »Unsere Mutter hat uns verlassen«, antwortete sie traurig.
»Das tut mir leid.«
»Sie war sehr müde«, sagte Tupik.
»Wir haben sie mit Blumen bedeckt und dann ihr Haus geschlossen«, erklärte Poppi.
»Das hätte ihr sicher gefallen.«
»Sie wußte, daß du eines Tages wiederkehren würdest«, sagte Tupik. »Sie war sehr weise.«
»Ja.«
»Sie sagte, wir sollten warten, bis du kommst und dir dann etwas ausrichten.«
»Oh?«
»Etwas
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