Malloreon 1 - Herrn des Westens
das? Wenn du etwas weißt, was wir nicht wissen, solltest du es uns dann nicht mitteilen?«
Ce'Nedra blickte sie hilflos an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Belgarath hatte bisher nichts zu den Gesprächen beigetragen und düster grübelnd in einem tiefen Sessel am Fenster gesessen. »Ich habe das Gefühl, daß ich etwas übersehe«, murmelte er, als Adara und Nerina die erregte Ce'Nedra zu einem Sessel nahe dem Ratstisch führten.
»Was hast du gesagt?« Anheg nahm seine eingebeulte Krone ab und warf sie achtlos auf den Tisch.
»Daß ich glaube, ich habe was übersehen. Anheg, sag mal, wie gut bestückt ist deine Bibliothek?«
Der cherekische König zuckte die Schultern und kratzte sich am Bart. »Ich weiß nicht, ob sie sich mit der Universitätsbibliothek von Tol Honeth messen kann, aber ich habe die meisten wichtigen Werke der Welt gesammelt.«
»Wie sieht es mit den Mysterien aus?«
»Womit?«
»Prophezeiungen – nicht so sehr der Mrin-Kodex oder die Darinschrift, eher Werke wie die Evangeliarien der Seher von Kell, die Grolim-Prophezeiungen von Rak Cthol oder die Orakel von Ashaba?«
»Das habe ich«, erklärte Anheg. »Das Ashaba-Ding. Ich habe es vor etwa zwölf Jahren gefunden.«
»Dann begebe ich mich wohl am besten nach Val Alorn und werfe einen Blick hinein.«
»Jetzt ist doch wohl kaum die Zeit für Ausflüge, Großvater!« protestierte Garion.
»Junge, wir wissen, daß sich etwas tut, das über den Aufstand einer Gruppe religiöser Fanatiker hinausgeht. Diese Stelle im MrinKodex, die du gefunden hast, war sehr eindeutig. Sie wies mich an, mich in den Mysterien umzusehen, und ich glaube, wenn ich nicht genau das tue, werden wir es alle bereuen.« Belgarath wandte sich wieder an Anheg. »Wo hast du deine Kopie der Ashabiner Orakel?«
»In der Bibliothek – auf dem obersten Regalfach. Ich konnte einfach nicht schlau daraus werden, darum habe ich sie dort abgelegt. Ich hatte immer vor, mich wieder damit zu beschäftigen.« Da fiel ihm etwas ein. »Ach übrigens, das Kloster von Mar Terrin besitzt eine Abschrift der malloreanischen Evangeliarien.«
Belgarath blinzelte.
»Das gehört doch zu den Werken, an denen du interessiert bist, nicht wahr? Das von den Sehern von Kell?«
»Woher weißt du denn, was sich in der Bibliothek von Mar Terrin befindet?«
»Ich hörte vor ein paar Jahren davon. Ich habe Leute, die die Augen nach seltenen Büchern offenhalten. Jedenfalls machte ich den Mönchen ein Angebot dafür – ein sehr großzügiges, wie ich fand –, aber sie wollten es nicht hergeben.«
»Du bist ein wahrer Informationsquell, Anheg. Fällt dir sonst noch was ein?«
»Mit den Grolim-Prophezeiungen von Rak Cthol kann ich dir leider nicht helfen, fürchte ich. Die einzige Kopie, von der ich weiß, befand sich in Ctuchiks Bibliothek, und die wurde vermutlich verschüttet, als du Rak Cthol vom Berg gepustet hast. Vielleicht könntest du danach graben.«
»Vielen Dank, Anheg«, sagte Belgarath trocken. »Ich weiß deine Hilfe sehr zu schätzen!«
»Ich kann meinen Ohren nicht trauen«, wandte Ce'Nedra sich anklagend an Belgarath. »Jemand hat mein Baby gestohlen – Euren Urenkel! – und statt daß Ihr versucht ihn zu finden, wollt Ihr irgendwelchen obskuren Manuskripten nachjagen.«
»Ich habe Geran nicht vergessen, Ce'Nedra, ich suche nur an anderer Stelle nach ihm, das ist alles.« Er blickte sie voll Mitgefühl an. »Du bist noch sehr jung und kannst bloß die eine Wirklichkeit sehen, daß man dir dein Baby genommen hat. Es gibt jedoch zwei Arten von Wirklichkeit. Garion folgt eurem Kind in dieser Wirklichkeit und ich ihm in der anderen. Wir sind alle hinter demselben her, und auf diese Weise schließen wir alle Möglichkeiten ein.«
Sie starrte ihn einen Moment stumm an, dann schlug sie plötzlich die Hände vors Gesicht und fing zu weinen an. Garion stand auf und legte die Arme um sie. »Ce'Nedra«, sagte er beruhigend. »Ce'Nedra, es wird alles wieder gut.«
»Nichts wird wieder gut«, schluchzte sie. »Ich habe solche Angst um mein Baby, Garion. Nichts wird wieder gut.«
Auch Mandorallen erhob sich, und Tränen glänzten in seinen Augen. »So, wie ich wahrlich Euer Ritter und Beschützer bin, teuerste Ce'Nedra, schwöre ich bei meinem Leben, daß der Schurke Ulfgar keinen Sommer mehr erleben wird!«
»Damit kommen wir zur Sache«, murmelte Hettar. »Warum brechen wir nicht nach Rheon auf und nageln diesen Ulfgar an den nächsten Pfosten – mit sehr langen
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