Malloreon 1 - Herrn des Westens
Kunst lernte, gut zu regieren. Er hatte Fehler gemacht, was verständlich war, doch die Folgen dieser frühen Versehen und Fehleinschätzungen waren nie schlimm gewesen, und seine Untertanen stellten erfreut fest, daß dieser ernste und aufrichtige junge Mann, der so überraschend zur Krone gekommen war, den gleichen Fehler nie zweimal machte. Sobald er sich eingewöhnt hatte und mit seinen Aufgaben vertraut war, durfte man sagen, daß Belgarion – oder kurz Garion, wie er es vorzog, genannt zu werden – so gut wie nie ernsthafte Probleme in seiner Eigenschaft als König von Riva hatte.
Er hatte auch noch andere Titel, einige reine Ehrentitel, andere nicht nur. ›Gottbezwinger‹ beispielsweise beinhaltete gewisse Pflichten, die wahrhaftig nicht oft bewältigt werden mußten. ›Herr des Westmeeres‹ brachte kaum welche mit sich, wie er bald erkannt hatte; denn die Wellen und Gezeiten brauchten keine Führung, und die Fische waren zum größten Teil durchaus fähig, für sich selbst zu sorgen. Am meisten Kopfzerbrechen bereitete Garion der grandios klingende Titel ›Kaiser des Westens‹. Da der Krieg gegen die Angarakaner vorbei war, hatte er anfangs angenommen, daß dieser Titel ebenso wie die meisten, reine Formsache sei, beeindruckend, aber nichtig, nur eine Abrundung des Ganzen. Er brachte ihm schließlich keine Steuern ein, bot ihm weder zusätzlich Krone noch Thron, und es unterstand ihm keine eigene Verwaltung, die für die alltäglichen Probleme zuständig wäre.
Doch zu seinem Verdruß stellte er bald fest, daß eine der Eigenheiten menschlicher Natur die Neigung war, sich mit seinen Problemen an die höhere Instanz zu wenden. Wäre er nicht Kaiser des Westens gewesen, hätten seine Brudermonarchen bestimmt Möglichkeiten gefunden, selbst mit ihren zeitraubenden Schwierigkeiten fertig zu werden. Doch da er sich in dieser erhabenen Position befand, machte es ihnen offenbar allen ein fast kindisches Vergnügen, mit den verzwicktesten und absolut unlösbaren Problemen zu ihm zu kommen und sich dann glücklich und mit vertrauensvollem Lächeln zurückzulehnen, während er sich damit abplagte.
Als Beispiel könnte man die Situation nennen, die sich im Sommer von Garions dreiundzwanzigstem Lebensjahr in Arendien ergab. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Jahr verhältnismäßig gut verlaufen. Die Mißverständnisse, die seine Beziehung zu Ce'Nedra getrübt hatten, waren überwunden, und Garion lebte mit seiner etwas schwierigen kleinen Frau in einem Zustand, der sich wohl am besten als häusliches Glück beschreiben ließe. Der Feldzug des Kaisers Kal Zakath von Mallorea auf dem Kontinent, der Anlaß zu großer Sorge gegeben hatte, war in den Bergen des westlichen Cthol Murgos ins Stocken gekommen und es sah aus, als würden die Truppen sich im Lauf der nächsten Jahrzehnte fern der Grenzen irgendeines der westlichen Königreiche aufreiben. General Varana, dem Herzog von Anadil, der für den siechen Kaiser Ran Borune XXIII. die Regentschaft übernommen hatte, war es gelungen, mit fester Hand Schluß mit den Ausschreitungen der großen Familien Tolnedras, in ihrem ungeziemenden Streit um den Thron zu machen. Und so hatte Garion eigentlich mit einer Zeit der Ruhe und des Friedens gerechnet – bis zu jenem warmen Frühsommertag, als das Schreiben von König Korodullin aus Arendien eintraf.
Garion und Ce'Nedra hatten gemeinsam einen beschaulichen Nachmittag in ihrem gemütlichen Privatgemach zugebracht und müßig über unbedeutende Dinge geplaudert – mehr aus Freude an der Gesellschaft des andern als aus wirklichem Interesse an den Themen ihrer Unterhaltung. Garion saß – oder vielmehr lag wohl eher – in einem blauen Samtsessel am Fenster, und Ce'Nedra saß vor einem Spiegel mit Goldrahmen und bürstete ihr langes kupferfarbenes Haar. Garion liebte Ce'Nedras Haar; die Farbe bezauberte ihn, es duftete verführerisch, und da war eine aufregende, widerspenstige Locke, die sich offenbar ein Vergnügen daraus machte, sich aus der Frisur zu lösen und geradezu aufreizend an die Seite des glatten weißen Halses zu schmiegen. Als der Diener den Brief des arendischen Königs brachte – vornehm auf einem Silbertablett –, löste Garion fast widerwillig den Blick von seiner zierlichen Frau. Er brach das verschnörkelte Wachssiegel und öffnete das knisternde Pergament.
»Wer hat geschrieben, Garion?« fragte Ce'Nedra. Sie bürstete weiterhin das Haar und betrachtete ihr Spiegelbild mit verträumter
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