Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
hier.«
»Wer?«
»Wer wohl?«
»Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für Spaße«, sagte Jeremy. »Ich sagte doch gerade, dass sie entkommen ist.«
»Und ich habe dem Gastwirt vor wenigen Augenblicken Judith beschrieben, und er meinte, sie sei oben.«
»Beim Beizebub, dann hätte der schottische Hurenbock ja gelogen?«
»Wieso sollte er die Wahrheit sagen?«, entgegnete Boyd. »Weil mein Onkel ihm sonst Arme und Beine ausgerissen hätte.«
»Einen besseren Grund für eine Lüge gibt es kaum.«
»Verflixt und zugenäht.« Im selben Moment verdrehte Jeremy die Augen. »Moment mal. Nur weil sie hier war, heißt das noch lange nicht, dass sie noch immer hier ist. Vielleicht ist sie ja von hier aus geflohen.«
Boyd nickte, um zu zeigen, dass auch er diese Möglichkeit in Betracht zog. »Das lässt sich leicht in Erfahrung bringen. Ich weiß, in welchem Zimmer sie wohnen. Komm, wir sehen nach, ob noch jemand da ist.«
Wenig später standen sie vor dem Raum, den der Gastwirt ihm genannt hatte. Boyd wollte gerade die Türklinke betätigen, als die beiden eine Stimme im Innern hörten: »Ich komme fast um vor Hunger.«
Sofort riss Jeremy Boyd nach hinten. »Ach, du ahnst es nicht«, raunte er. »Das war die Stimme meiner Cousine.«
»Ich weiß«, antwortete Boyd mit gezückter Pistole. »Wir gehen da jetzt rein und holen sie heraus.«
»Aber ohne Schießeisen. Du bist doch ein exzellenter Faustkämpfer. Du brauchst keine Waffe. Damit laufen wir nur Gefahr, dass sie womöglich zurückschießen.«
Schweren Herzens gab Boyd nach. »Nur zu gern hätte ich die Entführer ein wenig eingeschüchtert, aber du hast recht. Dem Wirt zufolge ist Judith in Begleitung von zwei Frauen. Wir können also getrost auf eine Waffe verzichten.«
»Camerons Eheweib? Klingt tatsächlich, als hätte dieses schottische Schwein uns faustdicke Lügen aufgetischt.«
»Ich habe eine Idee, wie wir vorgehen«, flüsterte Boyd. »Ich trete die Tür ein. Du läufst hinein, schnappst dir deine Cousine und bringst sie umgehend zu ihrem Vater. Lass dich von niemandem aufhalten. Da es um eine gewaltige Menge Geld geht, wissen wir nicht, wie viele Handlanger noch in die Sache verstrickt sind, geschweige denn, wo sie sich aufhalten. Ich kümmere mich um die beiden Frauen, übergebe sie dem Wachtmeister und reite dir dann nach.«
»Pst«, zischte Jeremy, als sich die Tür, die sie stürmen wollten, einen Spaltbreit öffnete.
Blitzschnell zog Boyd Jeremy vor die Tür des Zimmers, das er angemietet hatte. Boyd versuchte, einen unscheinbaren Eindruck zu vermitteln, indem er so tat, als schließe er sein Zimmer auf.
»Ich bin gleich wieder zurück und bringe etwas zu essen mit. Bitte verriegeln Sie die Tür hinter mir.«
Aus dem Raum der Entführer drang das Kichern einer Frau. »Manchmal siehst du Gespenster, Grace.«
Die Frau, die sich auf den Weg machte, um etwas Essbares zu holen, lief grußlos an den beiden Männern vorbei und verschwand im Treppenhaus.
»Der ideale Zeitpunkt, um Judy zu befreien«, flüsterte Boyd, sprang zur Seite und stieß die Tür auf, ehe sie von innen verriegelt wurde.
Wie besprochen stürzte Jeremy sich auf seine Cousine. Ehe diese seinen Namen rufen konnte, hielt er ihr den Mund zu und raunte, sie solle still sein. Im selben Moment klemmte er sie sich unter den Arm und war verschwunden.
Boyd stand indes wie angewurzelt in dem Raum, den ungläubigen Blick auf die noch verbleibende Person gerichtet, die ihn nicht minder entsetzt anstierte. Es war die Frau seiner Träume. Die Frau, die angeblich selbst Mutter zweier Kinder war, hatte Anthony Malorys Tochter entführt? Außer sich vor Wut packte er sie, hielt ihr den Mund zu und zerrte sie unbarmherzig über den Flur in sein eigenes Zimmer.
Kapitel 10
»Kein Sterbenswörtchen«, raunte Boyd ihr zu. »Ich erwürge Sie, wenn Sie es auch nur wagen, zu laut zu atmen.« Als ihm auffiel, dass er es versäumt hatte, ihren Mund wieder freizugeben, ahnte er, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Es wäre das Beste, wenn er von ihr abließe und auf Distanz ginge. Nur dann hätte er eine reelle Chance, wieder klar denken zu können. Doch so sehr er sich auch dazu überreden wollte, es gab eine Macht in seinem Innern, die sie partout nicht loslassen wollte.
Katey Tyler, wie sie leibte und lebte, und nicht als Fantasiegespinst in seinen Träumen. Egal, ob aus Fleisch und Blut oder als Traumgestalt, seitdem sie sich in sein Leben geschoben hatte, hatte sie sich zum wahren
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