Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
seine Halsstarrigkeit. Katey beschloss, alles daran zu setzen, ihm in Northampton nicht zu begegnen. Sie würde sein Pferd in dem Gasthaus lassen, in dem sie ursprünglich untergekommen waren. Nach allem, was er ihr angetan hatte, hatte sie kein schlechtes Gewissen, weil sie ihm das Tier unter der Nase stibitzt hatte. Sie wollte einfach nur in ihre Kutsche steigen und fort von hier.
Einen Gehrock um die Schultern, bis auf die Knochen nass und schlammbespritzt, erregte Katey ziemliches Aufsehen in Northampton. Ihr Zopf hatte sich halb aufgelöst, und sie hatte sich nicht die Zeit genommen, ihn neu zu flechten. Als ihr aufging, dass die vielen neugierigen Blicke auch von ihren entblößten Unterschenkeln rühren mochten, glitt sie verlegen aus dem Sattel und lief, das Pferd an den Zügeln, zu Fuß weiter.
Als sie den Marktplatz überquerte, merkte sie, wie hungrig sie war.
Die meisten Händler hatten ihre Stände bereits geschlossen, aber vereinzelt gab es noch Kunden, die in letzter Minute Obst, Gemüse oder Kräuter erstanden. Als sie an einem Obststand vorbeiging, hörte sie, wie eine Frau den Händler anblaffte: »Sagen Sie mir einfach, wie ich zum nächsten Hafen komme.«
»Ich sagte Ihnen doch bereits, dass es in dieser Stadt keinen Hafen gibt.«
»Das weiß ich selbst, aber ich will wissen, wo es in die nächste Hafenstadt geht. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass mein Ehemann mir nach dem Leben trachtet. Ich muss so schnell es geht das Land verlassen.«
Katey blieb wie angewurzelt stehen. Sie kannte die Stimme. Diesen Akzent! War das nicht die Schottin, vor der sie den halben Morgen geflüchtet waren? Da sie Katey den Rücken zuwandte, war sie sich nicht ganz sicher. Nachdem Boyd sie mehrfach beschuldigt hatte, Geordie Camerons Gemahlin zu sein, konnte sie Judiths Entführern nun wenigstens einen Namen zuordnen. Und hier, ganz in der Nähe, stand eine Schottin, die Reißaus vor ihrem Gemahl nehmen wollte. Das wiederum rief ihr Boyds Worte über Anthony Malory in Erinnerung und dass dieser Cameron wegen der Untat, die seine Frau begangen hat, bewusstlos prügeln würde.
Als sie sich sicher war, dass sie wusste, mit wem sie es hier zu tun hatte, hielt sie einen kleinen Jungen an, der gerade an ihr vorbeilaufen wollte, und raunte ihm zu, er möge auf schnellstem Wege den Wachtmeister holen. Nachdem der Junge weitergelaufen war, entschied Katey wutschnaubend, Mrs. Cameron so lange in ein Gespräch zu verwickeln, bis der Schutzmann eintraf. Dieses Frauenzimmer hatte ein Kind entführt und misshandelt und war nicht davor zurückgeschreckt, es sich nach seiner Flucht mit allen Mitteln zurückzuholen. Ferner war diese Xanthippe daran schuld, dass ihr Verhältnis zu Boyd Anderson nun nachhaltig zerstört war. Nein, dieses Miststück würde sich nicht einfach aus dem Staub machen. Nicht, wenn Katey da ein Wort mitzureden hatte.
Sie steuerte geradewegs auf die rothaarige Frau zu. »Mrs. Cameron?«
Wie ein geölter Blitz fuhr die Schottin herum. Katey hätte beinahe losgelacht, als sie sah, wie der Verkäufer sein letztes Obst verstaute und das Weite suchte. Jetzt war Katey sich sicher, die richtige Frau vor sich zu haben. Ihr Haar war noch so zerzaust wie am Morgen, und auch ihrem Blick wohnte etwas Wildes, Unberechenbares inne.
»Woher kennen Sie meinen Namen?«, fragte sie in demselben derben Tonfall, den sie auch dem Obsthändler gegenüber angeschlagen hatte. »Kommen Sie vom Gasthof? Wir haben für das Zimmer bezahlt, obwohl ich eigentlich mein Geld zurückfordern müsste. Das verdammte Türschloss war kaputt!«
Katey merkte sofort, dass die Frau sie nicht erkannt hatte. Wie denn auch? Ihre Kleider waren vollkommen durchnässt und verdreckt und ihr Haar ein einziges Desaster. Sie hatte keinerlei Ähnlichkeit mit der Frau, die sie noch am Morgen gewesen war.
»Ich komme nicht vom Gasthof.«
Katey verzichtete bewusst darauf, sich ihrem Gegenüber vorzustellen. Sie wollte die Schottin lediglich so lange aufhalten, bis der Wachtmeister eintraf.
Plötzlich kniff Mrs. Cameron die Augen zusammen. »Kann es sein, dass wir uns schon mal begegnet sind? Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Ist ja auch egal. Sagen Sie mir einfach, wie ich auf schnellstem Wege in die nächste Hafenstadt komme, und ich verschwinde. Wenn Sie es nicht wissen, dann raus mit der Sprache, damit ich mir jemanden suchen kann, der Ahnung hat.«
Unter anderen Umständen hätte Katey ihr geholfen, so aber sagte sie lediglich: »Ich fürchte, da
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