Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
Es war erstaunlich, wie einfach die Welt manchmal mit Kinderaugen aussah. In Ordnung bringen? Von wegen. Er wünschte, die Dinge lägen so einfach.
Er beantwortete Judiths Frage mit einem Kopfschütteln, während seine Schwester anhob: »Boyd, sag mir bitte, dass du diese junge Frau nicht beleidigt hast.«
Er zuckte zusammen. »Das kommt darauf an, wie du Beleidigung definierst.«
»Ungesittet bis in die Haarspitzen«, meldete James sich zu Wort.
»Reiß dich am Riemen«, tadelte Georgina ihren Gemahl, ehe sie sich in einem etwas weniger strengen Ton Boyd zuwandte: »Mir drängt sich der Verdacht auf, dass sich an dem Tag mehr zugetragen hat, als uns allen bewusst ist.«
Anthony, der nicht in der Laune war, Boyd jedes Wort einzeln aus der Nase zu ziehen, kam ohne Umschweife zur Sache: »Was hast du getan, Yank, dass sie nicht'einmal mehr im selben Raum mit dir zusammen sein möchte?«
Wie hatte Katey es formuliert? »Ich habe sie misshandelt und eingesperrt, ohne …«
»Wie bitte?«
Die Frage prasselte von allen Seiten auf ihn herein, so leise hatte er in seinen nicht vorhandenen Bart genuschelt. Vielleicht war es nicht sonderlich ratsam, sich so offen zu geben.
Er räusperte sich und sagte: »Ich habe ihr nicht geglaubt, als sie mir erklärt hat, warum sie da war.«
»In Northampton?«
»Nein, in dem Gasthof, als ich Judith bei ihr gefunden habe«, berichtigte er sie.
James stimmte ein höhnisches Lachen an.
»Ich habe ihr Vorgeworfen judiths Entführerin zu sein. Mir leuchtet ein, dass sie davon nicht sonderlich begeistert ist.«
Als Boyd keinen Versuch unternahm, irgendetwas abzustreiten, ergriff Jeremy das Wort. »Beim Allmächtigen, ich habe dir doch gesagt, dass Cameron meinte, es wäre seine Frau gewesen, die …«
»Ich weiß«, fuhr Boyd ihm über den Mund. »Aber wir haben Judith in einem verriegelten Zimmer vorgefunden statt auf dem Weg nach London. Plötzlich hatte ich Zweifel an Camerons Geschichte. Du hast selbst zugegeben, dass er gelogen haben könnte, damit Anthony ihn in Ruhe lässt.«
»Habe ich aber nicht«, warf Anthony selbstgefällig ein, was ihm einen finsteren Blick seiner Frau einbrachte.
»Du hast meinen armen Cousin für nichts und wieder nichts geschlagen?«, schalt Roslynn ihn. »Judith hat doch bestätigt, dass er nichts mit der Sache zu tun hatte.«
»Da bin ich anderer Meinung. Sein ständiges Gejammer, dass ihm das Vermögen durch die Lappen gegangen sei, hat seine Frau letztendlich auf die Idee mit der Entführung gebracht. Ganz unschuldig ist er jedenfalls nicht. Nur der Tatsache, dass die Entführung nicht auf seinem Mist gewachsen ist, hat er es zu verdanken, dass er noch lebt.«
Roslynn, der anzusehen war, dass die Behauptung nicht ihre Zustimmung fand, schnaubte. Als Boyd merkte, dass er nicht mehr im Mittelpunkt stand, entspannte er sich ein wenig. Aber nur so lange, bis James ihn wieder ins Visier nahm und mit bitterernster Stimme sagte: »Moment mal bitte. Wenn du ihr nicht geglaubt hast und sie dir noch immer gram ist, lässt das nur den Rückschluss zu, dass du genauso inkompetent bist, wie ich es immer befürchtet habe. Sag jetzt bitte nicht, du hast deinen Verdacht aufrechterhalten und getan, was man mit echten Kriminellen tut.«
Boyd stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Ach, du ahnst es nicht«, entfuhr es James. »Er hat die Kleine ins Gefängnis gebracht.«
»Den Vorwurf muss ich weit von mir weisen. So etwas würde ich ohne Beweise niemals tun. Es stimmt jedoch, dass ich sie gegen ihren Willen nach London bringen wollte. Wenn es nach mir gegangen wäre, wäre ich auf direktem Weg mit ihr hierhergekommen. Ich wollte, dass Anthony entscheidet, was mit ihr geschieht. Dann sind wir jedoch in einen Sturm geraten, und als ich uns eine Zufluchtstätte gesucht hatte, ist sie geflohen.«
Nach einem Augenblick schockierter Stille fielen alle zur selben Zeit über ihn her, manche mehr, manche weniger wutschnaubend und tadelnd. Boyd verstand kein Wort, weil alle durcheinander redeten. Im Grunde war es eine riesige Erleichterung, seinem schlechten Gewissen Luft zu machen. Als er endlich etwas hörte, auf das er hätte antworten können, galt das Gesagte noch nicht einmal ihm.
»Wie, zum Teufel, sollen wir das wiedergutmachen?«, fragte Anthony seine Gemahlin.
»Aber ihr habt mit der ganzen Sache doch nichts zu tun«, warf Boyd ein.
»Leider doch. Schließlich bist du ein Mitglied der Familie«, fuhr Roslynn ihn scharf an.
Und obwohl sie mit
Weitere Kostenlose Bücher