Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
wutgeschwängerter Stimme gesprochen hatte, waren ihre Worte Musik in Boyds Ohren. Die Malory-Männer behandelten ihn zwar oft herablassend, aber sie waren untereinander oft auch nicht freundlicher. So waren sie einfach. Vielleicht war es höchste Zeit, sich endlich einzugestehen, dass er ein Teil dieser Familie war. Zu verdanken hatte er es Georgina und Warren, seinen beiden Geschwistern, die in diese Familie eingeheiratet hatten.
So kam es, dass Boyd Judiths Worte aufgriff und sagte: »Ich werde es in Ordnung bringen. Das werde ich, auch wenn ich keinen blassen Schimmer habe, wie ich es anstellen soll.«
Kapitel 19
»Sie sind aber früh zurück«, begrüßte Grace ihre Dienstherrin, als diese das Hotelzimmer betrat. »Er war da, deshalb bin ich gegangen.« Es war nicht nötig, genauer zu definieren, wen sie mit er meinte. »Aber vorher haben Sie ihm doch hoffentlich gründlich Ihre Meinung gegeigt?« Kateys Gesichtsausdruck sprach jedoch Bände. »Haben Sie nicht, oder? Mir schwant, Katey Tyler, ich habe bei Ihrer Erziehung einen gravierenden Fehler gemacht.«
Mit einem kräftigen Schnauben ließ Katey sich auf den nächstbesten Stuhl plumpsen. »Du hast mich gar nicht erzogen. Wenn er nicht unangemeldet aufgetaucht wäre, hätte ich ihm noch viel mehr an den Kopf geworfen – oder vielleicht auch nicht. Es waren zu viele Menschen anwesend, als dass ich mich wie eine Furie hätte aufführen können, auch wenn er es verdient hätte.«
»Mit anderen Worten, Sie haben Ihre Chance vertan.«
Es dauerte einen Augenblick, bis Kateys Kehle ein Glucksen entstieg. »Trauern wir hier allen Ernstes der Gelegenheit nach, dass ich mich zum Affen mache?«
Grace setzte ebenfalls ein Feixen auf, wenngleich es ein wenig verlegen wirkte. »Das klingt furchtbar, finden Sie nicht auch? Aber ein Rüffel lässt sich auch freundlicher verabreichen, und wenn jemand das Talent dazu hat, dann sind Sie es, Kindchen. Das Mindeste wäre, dass dieser Kerl … mit einem Strick um den Hals endet.«
Beide lachten herzhaft. Dann jedoch stieß Katey einen tiefen Seufzer aus, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Grace, die gerade dabei gewesen war, Kateys Kleider zu sortieren, machte sich wieder an die Arbeit. Die Magd war so umsichtig gewesen, sie waschen und plätten zu lassen.
Das Problem war nur, dass Katey vermutlich bald schon eine weitere Gelegenheit bekam, Boyd zu »hängen«, weil die Malorys wussten, wo sie wohnte. Sie war sich aber selbst nicht sicher, ob sie das noch immer wollte. Vermutlich hatte er Sir Anthony bereits gefragt, in welchem Hotel sie unterkommen war. Es würde sie nicht weiter wundern, wenn dieser Rüpel von Boyd ihr noch vor dem Frühstück einen Besuch abstattete, um ihr all das zu sagen, wozu sie ihm heute nicht die Chance gegeben hatte.
Katey hatte bereits entschieden, dass sie ihn nicht anhören würde. Genauer gesagt, konnte sie gut darauf verzichten, dass sich ihre Wege abermals kreuzten. Ihm die Leviten zu lesen war vertane Mühe. Er wusste mittlerweile, dass er einen folgenschweren Fehler begangen hatte, weil er ihren Worten kein Gewicht beigemessen hatte. Er hatte vorgehabt, sich bei ihr zu entschuldigen, dessen war sie sich sicher, doch sie hatte nicht die Absicht, ihm für seine grässliche Verbohrtheit zu vergeben. Die Vorstellung, ihn in seinem schlechten Gewissen schmoren zu lassen, behagte ihr, je länger sie darüber nachdachte.
Und genau das teilte sie auch Grace mit. »Ihm die Ohren lang zu ziehen gäbe ihm lediglich die Gelegenheit, sich zu entschuldigen. Und sobald er das getan hat, fühlt er sich befreit. Wenn er jedoch erst gar nicht die Gelegenheit bekommt, sich zu entschuldigen, wird ihn sein schlechtes Gewissen auf immer quälen, was meinst du?«
»Welch niederträchtiges Verhalten, Miss Katey Tyler«, sagte Grace mit einem breiten Lächeln.
»Findest du wirklich?« Katey nickte, hüllte sich einen Augenblick in tiefes Schweigen und sagte dann: »Wir brechen morgen in aller Herrgottsfrühe auf, damit er keine Gelegenheit hat, mich zu finden.«
Grace verdrehte die Augen. »Wollen Sie nun doch die südliche Küste erkunden?«
»Nein, wir reisen nach Gloucester.«
Erleichtert nahm Grace Kateys Entscheidung hin.
Als sie sich am nächsten Morgen anschickten, das Hotel zu verlassen, wurde Katey plötzlich von tiefen Zweifeln gepackt. War es wirklich eine gute Idee, unangemeldet vor der Tür ihrer Verwandtschaft zu stehen? Sie wusste selbst nicht, warum sie sich auf
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