Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
geradezubiegen.«
»Wirklich? Das würdest du tun?«
Das freudestrahlende Gesicht des Kindes hatte Boyd den Rest gegeben. Wie ein geölter Blitz war er aus dem Raum gelaufen, damit die beiden nicht merkten, wie hundeelend ihm zumute war. Einen Augenblick lang hatte er sogar mit dem Gedanken gespielt, noch am selben Abend nach Northampton zurückzureiten, die Idee dann aber wieder verworfen. Er hatte bezweifelt, dass Katey noch in der Stadt weilte. Ferner war er das Gefühl nicht losgeworden, dass sie sich – bewaffnet mit einer Pistole, einem Knüppel oder einem Sonnenschirm – auf die Suche nach ihm machen würde, sobald ihr Weg sie wieder nach London führte. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihn zuerst fand, war enorm hoch. Immerhin wusste sie, an wen sie sich wenden musste, um ihn ausfindig zu machen.
Doch dann war ihm sein schlechtes Gewissen schier über den Kopf gewachsen, sodass er sich auf die Suche nach ihr gemacht hatte, um seinen entsetzlichen Fehler wiedergutzumachen. Er wusste, dass kein Weg daran vorbeiführte. Die Frage war nur, wie er es bewerkstelligen sollte. Unglücklicherweise hatte sich am Vorabend noch eine Krise bei Skylark abgezeichnet, die ihn viel Zeit gekostet hatte. Ein Schiff ihrer Handelsflotte hatte sich mit letzter Kraft in den Hafen geschleppt, nachdem es in einem schweren Sturm beinahe untergegangen wäre. Er hatte umfassende Reparaturen veranlasst und Männer abbestellt, die die beschädigte Ladung entsorgten.
Und dann, nach Georginas und James' unverhoffter Rückkehr, hatte Boyd den Rest des Tages mit ihnen verbracht, um alles über Drews Abenteuer zu erfahren.
Immer wieder hatte er sich vorgenommen, seine Schwester ins Vertrauen zu ziehen, ihr zu beichten, welches Missgeschick ihm widerfahren war, es letzten Endes aber nicht übers Herz gebracht, weil er seiner Schwester nicht die Heimkehr hatte ruinieren wollen. Zwischendurch war in ihm immer wieder die Hoffnung aufgekeimt, Katey auf eigene Faust ausfindig zu machen und die Sache aus der Welt zu schaffen, ehe seine Familie Wind davon bekam.
Jetzt hatte er den Salat, musste zurück in den Salon, in dem ein Dutzend Malorys auf ihn und seine Erklärung warteten, warum die reizende Katey ihm Vorwürfe machte und seinetwegen das Weite gesucht hatte. Er ahnte, dass sie ihnen nichts von dem bedauerlichen Zwischenfall erzählt hatte. Andernfalls hätten sie ihn umgehend damit bestürmt und eine Erklärung gefordert. Und genau das stand ihm jetzt bevor. Es überraschte ihn, dass die Malory-Meute ihm nicht bis zur Haustür gefolgt war, um Einzelheiten aus ihm herauszuquetschen.
Erst als Boyd die Eingangstür schloss, sah er, dass James und Anthony im Türrahmen des Salons standen und ihn mit vielsagenden Blicken durchbohrten. Die beiden Haudegen würden ihn nicht vom Haken lassen, ehe er ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte, dessen war er sich sicher. Einzig der Wunsch herauszufinden, wo Katey wohnte, hielt ihn davon ab, das Weite zu suchen. So kam es, dass er wie ein begossener Pudel zurück in den Salon trottete. Ihm war, als werde er zu einem Schafott geführt, auf dem in großen Buchstaben sein Name prangte.
Mit langsamen Schritten lief Boyd an den beiden Malory-Männern vorbei, die er insgeheim für ihre Fähigkeiten im Boxring bewunderte. Er selbst war erst einmal in den Gemäss ihrer sagenumwobenen Fäuste gekommen. Damals, als er und seine vier Brüder versucht hatten, James eine Abreibung zu verpassen, weil er in aller Öffentlichkeit herumposaunt hatte, er hätte ihre Schwester defloriert. Das waren zwar nicht seine genauen Worte gewesen, aber Bewohner der amerikanischen Ostküste waren genau wie jeder andere Mensch auf der Welt in der Lage, verborgene Andeutungen zu entschlüsseln.
Sie waren bemüht darum gewesen, fair zu sein, indem sie sich James einzeln vorgeknöpft hatten. Aber das hatte so nicht funktioniert. Das Ende vom Lied war gewesen, dass sich alle fünf auf ihn gestürzt hatten, um sich an ihm zu rächen, so versiert war er im Umgang mit den Fäusten.
Als Boyd den Salon betrat, war jedes Augenpaar im Raum auf ihn gerichtet. Es herrschte eine angespannte Stille. Alle warteten darauf, dass er das Wort ergriff und aus freien Stücken eine Erklärung ablieferte. Die Einzige, die sich nicht mehr zurückhalten konnte, war Judith.
Sichtlich niedergeschlagen fragte sie ihn: »Du hast es nicht in Ordnung gebracht und sie zurückgeholt, oder?«
Hatte sie allen Ernstes geglaubt, dass ihm das gelingen würde?
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