Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
verstoßen haben, als sie meinen Vater heiratete und nach Amerika auswanderte. Genau genommen hatte ich gar nicht vor, hierherzukommen.«
Er machte Anstalten, nach ihrer Hand zu greifen. Eine völlig normale Geste, wenn sie befreundet gewesen wären und nicht der Schlamassel mit der Entführung zwischen ihnen gestanden hätte. Aus dem Grunde legte er die Hand auf sein Knie. Katey, der nicht entgangen war, was er vorhatte, musste abermals mit dem Kribbeln in ihrem Magen kämpfen.
»Ist Ihnen in den Sinn gekommen, dass sie womöglich gar nicht zu Hause sein könnten?«, erkundigte er sich.
»Wir haben in Hävers Town angehalten und in den Geschäften nachgefragt. Die Millards sind da.«
»Benötigen Sie eine Eskorte? Es wäre mir eine Ehre, Sie zu begleiten, Sie moralisch zu unterstützen, falls nötig.«
War das Teil seiner Entschuldigung, oder war er tatsächlich von dem Wunsch beseelt, ihr zu helfen? Es war schwer zu sagen, was er im Schilde führte, wenn keine Wollust im Spiel war – die sah sie ihm nämlich an der Nasenspitze an.
Aber davon war gerade nichts zu spüren. Er gab sich in erster Linie hilfsbereit und freundlich.
Katey stöhnte innerlich auf. Was dachte sie sich nur dabei? Es spielte keine Rolle, ob er sich jetzt und hier vorbildlich benahm. Sie hatte ihn von seiner schlechten Seite kennengelernt: arrogant, dickköpfig und taub, wenn es um Vernunft ging. Ganz zu schweigen von dem Leid, das er ihr beschert hatte, weil er sie für eine Gesetzesbrecherin gehalten hatte. Gut möglich, dass er nicht derjenige war, der sie im Gefängnis abgeliefert hatte, aber sie wäre dort niemals gelandet, wenn er sie nicht gegen ihren Willen aus Northampton verschleppt hätte.
Sie sprang auf die Füße. »Vielen Dank, aber das ist etwas, dem ich mich ganz allein stellen muss. Ferner wäre ich jetzt so weit, mich an den Frühstückstisch zu setzen.«
Er rief sie beim Namen, doch sie hastete davon, ohne noch einmal innezuhalten. Wäre das Speisezimmer leer gewesen, wäre sie noch weiter gelaufen, denn er war ihr dicht auf den Fersen.
Eine Fensterfront säumte das kleinere, gemütlichere Esszimmer, durch die die Morgensonne ihre Strahlen schickte, wenn sie sich nicht wie heute hinter einer Wolkenwand verschanzte. Es gab ein Büffet. Judith und ihre Mutter saßen bereits am Tisch. Katey wählte den Platz zwischen ihnen, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, ihr Gespräch mit Boyd fortsetzen zu müssen. Ein Umstand, den sie gern bis zum Ende ihres Besuches so lassen wollte.
Kapitel 23
Katey ließ das Mittagessen ausfallen, musste sich aber eingestehen, dass das kein besonders kluger Schachzug war, Boyd aus dem Weg zu gehen – zumal er sie auf Schritt und Tritt verfolgte. Zumindest kam ihr das so vor. Wohin ihr Weg sie auch führte, er war nie weit weg. Irgendwie war es ihm gelungen, sie zu einer Partie Schach zu überreden. Konnte es sein, dass Boyd sie bei ihrem Ehrgeiz gepackt hatte? Wenn es ihr schon nicht gelingen wollte, ihn mit Worten in die Knie zu zwingen, würde sie ihn eben bei einem Brettspiel vernichtend schlagen.
Entgegen ihrer Erwartung machte es ihr sogar Spaß, gegen ihn zu spielen. So sehr, dass sie bereits den ganzen Nachmittag beieinander saßen. Judith stand neben ihr und flüsterte ihr ins Ohr, welche Figur sie wohin ziehen solle. Boyd warf Katey sogar vor, sie würde schummeln. »Gegen wen spiele ich denn nun eigentlich?«, fragte er schließlich. »Gegen Sie oder Judy?«
»Nervös?« Katey grinste, als sie ihm seinen zweiten Springer abnahm, worauf er nicht mit Vergeltung reagieren konnte, es sei denn, er wollte seine Dame auch noch verlieren. »Judith bestätigt mir lediglich, dass meine Taktik aufgeht. Sie und ich denken eben in ähnlichen Mustern.«
Er blickte von Katey zu Judith und rief: »Mein Gott, selbst euer Grinsen ähnelt sich. Wie wäre es, wenn du mir ein wenig zur Seite stündest? Schließlich bin ich derjenige, der auf der Verliererstraße wandelt.«
Das Mädchen kicherte, rührte sich jedoch nicht von der Stelle. Als Boyd vier Züge später Katey schachmatt setzte, strafte er sich selbst Lügen. Mit der Königin nahm Boyd Katey auch den Mut.
Er spielte so aggressiv! So etwas war Katey vollkommen fremd. Bislang hatte sie immer gegen ihre Mutter gespielt, um sich auf angenehme Weise die Zeit zu vertreiben. Im Grunde durfte Boyds Spielweise sie nicht überraschen.
Bereits bei ihrem ersten Aufeinandertreffen, als klar war, dass sie sein Interesse erregt hatte, war
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