Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
die wundersame Ruhe dieses einzigartigen Ortes auf sie ab. Vergessen waren die Querelen mit Boyd, die Aufregung des Abends, die Angst vor dem Besuch bei ihrer Verwandtschaft.
Als ihr Blick auf Boyd fiel, der sich ihr näherte, blieb sie einfach sitzen. Tiefe Gelassenheit durchströmte sie. Und als sich ihre Blicke trafen, dachte sie einzig darüber nach, dass er umwerfend aussah: keine Halsbinde, das Hemd am Kragen geöffnet und der Gehrock offen. Wie seinerzeit auf dem Schiff. Es hatte fast den Anschein, als würden seine Kleider seinen schlanken, muskulösen Körper umfließen und ihn regelrecht liebkosen.
»Der Regen scheint Ihnen nichts auszumachen, habe ich recht?«, fragte er mit leiser Stimme.
Katey mochte sich zwar das Gesicht mit dem Ärmel abgewischt haben, von ihrem Zopf perlten jedoch Wassertropfen, und ihr limonengrünes Kleid war über und über mit dunklen Flecken übersät. Erst jetzt fiel Katey auf, dass er nicht minder nass war und sich noch nicht einmal die Zeit genommen hatte, sich über das Gesicht zu fahren. Der Wunsch, ihm die Tropfen von den Wangen zu … lecken, war überwältigend.
Als Katey bewusst wurde, welchen Weg ihre Gedanken einschlugen, schoss ihr wieder die Röte in die Wangen. Herrje! Was, wenn er ihr Erröten als Reaktion auf seine Frage verstand? Katey zwang sich, einen leichten Ton anzuschlagen, wie er es getan hatte, und antwortete: »Nicht, wenn ich die Wahl habe, ihm zu entkommen.«
Er feixte. »Verstehe.«
»Wohl doch nicht so schwer von Begriff, oder?«, sagte sie ruhig und erwiderte sein Grinsen.
Beim Allmächtigen, zog sie ihn etwa auf? Auf jeden Fall war ihm das lieber, als wenn sie ihn angiftete. Aber wo, in Gottes Namen, war ihre Wut geblieben? Sie hatte ihm nicht vergeben, das war so sicher wie das Amen in der Kirche. Womöglich lag es an der Umgebung. Vielleicht vermittelte ihr das Gewächshaus das Gefühl, in eine fremde Welt eingetaucht zu sein … oder in eine ihrer Fantasien … in denen Boyd Anderson ja mehr als hin und wieder auftauchte.
»Ich dachte, Sie wollten heute Morgen Ihren Verwandten einen Besuch abstatten. Ich hatte nicht erwartet, Sie hier anzutreffen.«
»Woher wissen Sie, dass ich meine Familie besuchen wollte?«
»Ich habe Roslynn gefragt. Wenn es um Sie geht, überlasse ich nur ungern dem Zufall die Zügel.«
Wieder kroch ihr die Röte ins Antlitz. Ein wärmendes Gefühl durchströmte sie. Sie erinnerte sich an den ursprünglichen Grund, warum sie ihm gegenüber behauptet hatte, sie wäre eine verheiratete Frau. Er sprach sie auf einer Ebene an, mit der sie nicht vertraut war, was sie maßlos irritierte. Er hatte ihr seine Gefühle beziehungsweise seine Wünsche gestanden, als er sie für eine Kriminelle gehalten hatte. Und selbst jetzt, wo er es eigentlich besser wissen müsste, machte er keinen Hehl aus dem, was in ihm vorging. War sie in der Lage, auch dieses Mal seinen Annäherungsversuchen zu trotzen? Oder war die Anziehung zu groß, sodass sie ihm ein wenig schöne Augen machte, ehe sie weiter ihres Weges zog?
»Haben Sie Ihre Zunge verschluckt, oder was ist los, Katey?«
Sie blinzelte ihre Gedanken fort. »So lang es regnet, kommt ein Besuch nicht infrage. Ich habe ihn auf morgen verschoben.«
Mit einem Grinsen auf den Lippen erwiderte er: »Sagten Sie nicht gerade, dass Regen Ihnen nichts ausmacht? Wäre es vermessen zu hoffen, dass Sie Haverston nicht verlassen wollten, ohne mich noch einmal zu sehen?«
Sie verdrehte die Augen, sodass er es sehen konnte. »Reine Zeitverschwendung. Es ist lediglich so, dass ich der Familie meiner Mutter noch nie begegnet bin und möchte, dass das erste Treffen perfekt wird.«
»Verstehe. Haben Sie ihnen eine Nachricht zukommen lassen, dass Sie mit Verspätung eintreffen werden?«
»Sie wissen nicht einmal, dass ich mich in England aufhalte.«
Er hob eine Augenbraue. »Glauben Sie nicht, es wäre besser, sie davon zu unterrichten, dass Sie hier sind, als aus heiterem Himmel aufzutauchen?«
»Damit sie ihre Sachen packen und das Weite suchen können?«
Es war ihr anzusehen, dass sie keine Witze machte, was Boyd die Falten auf die Stirn trieb. »Wie kommen Sie denn darauf?«
Es war das erste Mal, dass sie die Millards in seiner Gegenwart erwähnte. Auf der Überfahrt nach England hatte sie keinerlei Veranlassung dazu gesehen.
Da ihr nicht der Sinn danach stand, ihm jetzt eine Erklärung zu präsentieren, sagte sie: »Es sind meine Verwandten mütterlicherseits, die meine Mutter jedoch
Weitere Kostenlose Bücher