Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
blond und hatte, genau wie seine Brüder James und Edward, grüne Augen – lediglich Anthony haftete etwas Zigeunerhaftes an. Judith hatte versucht, ihr zu versichern, dass Jason nur dann einen Hang zum Tyrannen hatte, wenn es um seine Brüder ging. Ansonsten war er ein großer, gutmütiger Bär. Ob das nun der Wahrheit entsprach oder nicht, heute erschien er ihr wesentlich freundlicher, hatte sie mehrere Male angesprochen und – den Arm um Judith gelegt – eine Zeit lang ihrem Schachduell gegen Boyd beigewohnt.
So kam es, dass sie den Stier bei den Hörnern packte und ihn fragte, was er ihr über die Millards erzählen konnte. Unglücklicherweise nicht sehr viel.
»Sie haben sich nie sehr aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligt«, erklärte er ihr und fügte mit einem Grinsen hinzu: »Auf der anderen Seite haben wir hier nur selten Bälle und andere Festivitäten ausgerichtet. Allerdings waren sie auch nie in den Londoner Kreisen vertreten. Genau wie ich, im Gegensatz zu meinen jüngeren Brüdern. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie je von den Millards erzählt haben. Ich glaube, sie bevorzugen Gloucester, zumindest meine ich, gehört zu haben, dass Ihre Großmutter von dort stammt, ehe sie den Earl geheiratet hat. Wenn sie sich unter Leute begeben haben, dann in Gloucester.«
»Kannten Sie meine Mutter Adeline?«
»Ich fürchte, ich kann mich nicht daran erinnern, Lady Adeline je begegnet zu sein. Es ging das Gerücht um, sie hätte einen Baron auf dem Festland geehelicht. Stimmt das nicht?«
»Nein.«
»Ich weiß noch, dass ich in jüngeren Jahren ihrer älteren Schwester Letitia ab und an in Hävers Town über den Weg gelaufen bin. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, habe ich sie sogar recht häufig dort gesehen. Es kam mir fast so vor, als wäre sie jedes Mal dort, wenn ich in die Stadt kam, um dort Einkäufe zu erledigen. Sie war damals ein freundliches Mädchen. Hatte immer Zeit, ein paar Worte mit mir zu wechseln.«
»War?«
»Wenn ich ihr heute begegne, zeigt sie mir die kalte Schulter. Aus irgendeinem Grund hat sie nie geheiratet. Das wiederum hat sie sehr sauertöpfisch werden lassen, zumindest ist das die landläufige Meinung. Eigenartig, an das nette Mädchen kann ich mich nur schemenhaft erinnern, an die verbitterte Jungfer hingegen sehr deutlich. Ich nehme an, ein unwirscher Mensch bleibt anderen eher in Erinnerung.«
Wenngleich er ihr nicht viel berichten konnte, so war es doch mehr, als ihre eigene Mutter ihr je erzählt hatte, die Namen ihrer Verwandten eingeschlossen. Adeline hatte lediglich von »meinem Vater«, »dem Earl« oder »meiner Mutter« gesprochen. Von einer Schwester jedoch hatte sie nie etwas erwähnt. Und Katey würde sie morgen treffen. Hoffentlich.
Kapitel 24
Katey hatte ursprünglich nicht geplant, Grace mit zu den Millards zu nehmen. Ihre Magd hatte nämlich eine Art an sich, entweder ihren Mut mit sarkastischen Bemerkungen zu schüren, was Katey dazu bringen konnte, ihrer Angestellten das Gegenteil zu beweisen, oder aber ihre Nervosität anzuheizen, die in ihrem Magen wütete. Boyds plötzliches Erscheinen in Haverston war der Grund, warum Katey ihre Meinung darüber, ob sie Grace zurücklassen sollte, geändert hatte. Nach ihrem Besuch bei den Millards noch einmal zum Anwesen des Marquis zurückzukehren, wo Boyd zugegen war, war die schlimmere von beiden Alternativen.
Doch Grace überraschte sie. Sie sprach kaum ein Wort auf der kurzen Fahrt zu den Millards. Haverston lag auf der einen Seite von Hävers Town, und das Anwesen der Millards auf der anderen. Die Fahrt dauerte weniger als zwanzig Minuten. Es wunderte Katey, dass die beiden Familien, wo sie doch so nah beieinander wohnten, sich kaum kannten. Aber wie Jason schon sagte, dieser Teil von Gloucestershire war nicht für seine gesellschaftlichen Festivitäten bekannt.
»Ich werde hier in der Kutsche warten«, sagte Grace, als sie vor dem noblen Landsitz vorfuhren. »Aber bitte vergessen Sie nicht, dass ich hier auf Sie warte, falls Sie einen längeren Aufenthalt planen.«
Graces Zurückhaltung war fast greifbar. Obschon sie diejenige war, die Katey zu diesem Besuch förmlich gedrängt hatte, machte sie sich jetzt genauso große Sorgen darum, was dabei herauskommen würde. Wenn die Begegnung in einem Fiasko endete, würde sie sich die Schuld daran geben.
Katey war jedoch mit anderen Dingen beschäftigt, als sie vor der Eingangstür des imposanten Landhauses stand, das nicht
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