Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
übereingekommen, den Handel mit den Engländern nun doch wieder aufzunehmen. Genau genommen stand England jetzt sogar im Zentrum aller neuen Routen, und die Dependance in London war in den letzten acht Jahren rasant gewachsen. Boyd stand nichts im Wege, die Leitung des Büros zu übernehmen.
Doch er und eine Landratte? Wieso zögerte er noch immer? Weil er tief in seinem Herzen die See liebte – auch wenn er verabscheute, was sie ihm regelmäßig antat.
Georgina hatte ihn im Lauf der Jahre der Londoner Gesellschaft vorgestellt. Er besaß sogar einen eigenen Kleiderschrank in Georginas Haus, in dem sich alles befand, was ein Mann von Stand benötigte, wenn er das gesellschaftliche Parkett betrat. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn er in seiner Seemannskluft zu einem Ball oder einem Abendessen ginge! Nichtsdestotrotz wehrte er sich dagegen, Rüschenhalsbinden oder Spitze am Ärmelsaum zu tragen, wie es einige Männer heutigentags taten. Er orientierte sich in Kleiderfragen an seinem Schwager James, der sich elegant kleidete, ohne sich dabei mit offenem Kragen zu präsentieren. Um bei abendlichen Einladungen nicht aus dem Rahmen zu fallen, hatte er sich eigens eine Reihe von Samtgehröcken zugelegt.
Im Lauf seines ausgedehnten Landaufenthalts hatte er von Georginas Bekannten und Freunden, die wussten, dass er noch in der Stadt weilte, zahlreiche Einladungen zu Bällen und Soireen erhalten und gelegentlich sogar angenommen. Er suchte nicht aktiv nach einer Gemahlin, aber wenn die richtige Frau auftauchte, würde er es als Zeichen werten, endlich sesshaft zu werden. Und das, obwohl er längst geglaubt hatte, der richtigen Frau begegnet zu sein. Katey Tyler wäre die perfekte Frau für ihn gewesen – wäre da nicht der widrige Umstand, dass sie bereits vergeben war.
Herrje, wieso hatte er ihr nur erlaubt, sich wieder in seine Gedanken zu schleichen? Wenn das geschah, dauerte es Tage und verlangte eine Menge Alkohol, sie fortzuspülen. Und auch das war meist nicht von langer Dauer. Die Phasen, in denen sie ihm im Kopf herumschwirrte, waren deutlich länger als jene, in denen er nicht an sie dachte. Manchmal schien es ihm, als fache die Tatsache, dass er sie nicht haben konnte, weil sie bereits einen Gemahl hatte, sein Verlangen nach ihr nur noch mehr an! Er hatte nie herausgefunden, was genau ihn an Katey Tyler faszinierte und warum er jede Minute der Überfahrt mit einem flauen Gefühl im Magen zu kämpfen hatte. Vor allem, weil sie gar nicht der Typ Frau war, nach dem er sich für gewöhnlich umdrehte.
Erstens war sie viel zu groß, war nur wenige Fingerbreit kleiner als er. Er mochte das Gefühl, größer als das holde Geschlecht zu sein, etwas, das er schmerzlich vermisste, wenn er Mrs. Tyler gegenüberstand und ihr in die Augen blickte. Aber das spielte keine Rolle. Ein Blick auf ihre verführerischen Rundungen genügte, und er vergaß alles andere.
Zweitens konnte sie wie ein Wasserfall reden – über alles und nichts. Eine erstaunliche Begabung. Noch erstaunlicher war jedoch, dass es ihn nicht im Geringsten störte. Die kleinen Grübchen auf ihren Wangen verliehen ihr oftmals den Anschein, als lächele sie, obwohl sie das gar nicht tat. Hinzu kam, dass sie sich ständig selbst widersprach, was ein wenig verwirrend sein konnte, in seinen Augen aber ein liebenswerter Charakterzug war, der sie auf charmante Art zerstreut wirken ließ. Sie hatte eine schmale Nase, die beinahe aristokratisch anmutete, und ihre Augenbrauen waren fein wie ein Pinselstrich. Er konnte jedoch nicht an ihren sanft geschwungenen, verführerischen Mund denken, ohne in einen Zustand der Erregung abzugleiten.
Noch nie hatte ein Frauenzimmer eine derartige Wirkung auf ihn ausgeübt oder war ihm so lange im Kopf herumgegeistert.
Gabrielle Brooks hatte jedoch sein Interesse geweckt. Welch eine Erleichterung war es gewesen festzustellen, dass bei ihm Hopfen und Malz doch noch nicht verloren waren. Sie könnte ihm helfen, dass er sich Katey ein für alle Mal aus dem Kopf schlug – zumindest war das seine ursprüngliche Hoffnung gewesen. Gabby war ungefähr zur selben Zeit nach London gekommen wie er und wohnte ebenfalls bei Georgina und James, weil ihr Vater, seines Zeichens ein alter Freund des Hausherrn, diesen darum gebeten hatte, sie in die Gesellschaft einzuführen.
Die hübsche Gabby hätte ihm durchaus den Kopf verdrehen und seine Gedanken in Richtung Vermählung lenken können, wenn nicht ausgerechnet Drew ein Auge auf
Weitere Kostenlose Bücher