Malory
kleinen, schrecklich dünnen Frau, die auf der Schwelle stand.
»Überrascht dich das?« fragte er, fügte jedoch sofort hinzu: »Du lieber Himmel, das soll doch nicht etwa heißen, daß Jason und Frances immer noch nicht zu-sammenleben?«
»Glaubst du, der Zaun wäre geflickt worden, während du auf See warst?« Anthony schüttelte den Kopf. »Es ist eigentlich alles nur noch schlimmer geworden. Sie tun noch nicht mal mehr so als ob; und die Familie hat klugerweise aufgehört, Fragen zu stellen. Sie wohnt jetzt das ganze Jahr über in diesem Haus, das sie sich in Bath gekauft hat, und er ist die meiste Zeit draußen auf Haverston. Ich glaube sogar, daß es heute das erste Mal seit mehr als fünf Jahren ist, daß ich sie zusammen in einem Raum sehe.«
James schaute ihn abschätzig an. »Ich fand es schon immer dumm von Jason, sie zu heiraten.«
Anthony zog eine Augenbraue hoch. »Wirklich? Ich hielt es eher für eine ziemlich noble Geste. Selbstauf-opferung und so, typisch für die Älteren.«
Mit den Älteren meinten die beiden jüngeren Malory-Brüder die beiden älteren Geschwister, da zwischen ihnen ein so großer Altersabstand herrschte. Anthony und James waren, wie Jason und Edward, jeweils nur ein Jahr auseinander, aber zwischen James und Edward lagen neun Jahre. Melissa, ihre einzige Schwester, die gestorben war, als ihre Tochter Regina erst zwei war, hatte in der Mitte gelegen.
»Die Kinder brauchten gar nicht so dringend eine Mutter; schließlich haben wir sie alle vier großgezogen.
Außerdem war ja Frances nie da, um ihnen die Mutter zu ersetzen.«
»Das ist richtig«, stimmte Anthony ihm zu. »Jasons Schuß ist nach hinten losgegangen. Er kann einem richtig leid tun, oder?«
»Leid tun? Jason?« schnaubte James. »Das halte ich für unwahrscheinlich.«
»Na, jetzt komm aber, alter Junge. Du hast ihn genauso gern wie ich. Er mag ja ein sturer, aufbrausender Tyrann sein, aber er meint es immer nur gut. Und sein Privatleben ist ein solches Desaster, er muß einem einfach leid tun – vor allem, wo wir beide doch die bezau-berndsten,
anbetungswürdigsten,
schönsten
Frauen der
Welt haben.«
»Nun ja, wenn du es so siehst, dann kann ich mir wahrscheinlich doch ein kleines bißchen Mitleid abringen.
Aber wenn du das diesem Holzkopf jemals verrätst ...«
»Keine Angst.« Anthony grinste. »Ros mag mein Gesicht so, wie es ist. Die Bekanntschaft mit deinen Fäusten wäre nicht besonders gesund für mich. Übrigens, was hat Derek dir denn eben ins Ohr geflüstert?«
James zuckte mit den Schultern. »Er sagte, er bräuchte irgendeinen Rat, aber hier sei nicht der geeignete Ort für ein Gespräch.«
»Glaubst du, er steckt in Schwierigkeiten?« spekulierte Anthony. »Es würde mich nicht überraschen, wenn er dir nachgerät.«
»Und Jeremy mit sich zieht«, murrte James.
Anthony feixte. »Das ist stark! Dein jugendlicher Sohn war immerhin schon mit sechzehn, wenn nicht sogar schon früher, mit deiner Mannschaft auf Frauenjagd.
Derek bringt ihm in dieser Hinsicht wenigstens die nötigen Umgangsformen bei.«
»Oder Jeremy lehrt ihn die falschen Umgangsformen –
verdammt noch mal, jetzt hast du mich schon so weit gebracht, daß ich Unsinn verzapfe. Es gibt keine falschen Umgangsformen bei der Jagd auf Frauen.«
14
Lady Frances trat auf ihren Mann zu. Sie zitterte fast vor lauter Nervosität, aber sie zögerte nicht. Mit Hilfe ihres lieben Oscars hatte sie die Entscheidung getroffen, Jason endlich ein volles Geständnis abzulegen –
oder ihm zumindest das zu gestehen, was er noch nicht selbst erraten hatte.
Es war an der Zeit, daß ihre Farce von einer Ehe endlich zu einem Ende kam. Sie hatte ihn von Anfang an nie heiraten wollen, die Vorstellung allein hatte sie entsetzt, und ursprünglich hatte sie seinen Antrag auch rundweg abgelehnt. Er war ein Bulle von einem Mann, streng, heißblütig, abscheulich körperbetont – mit einem Wort: angsterregend. Und sie hatte sehr wohl gewußt, daß sie nicht zueinander paßten. Aber ihr Vater hatte sie trotzdem gezwungen, ihn zu heiraten. Er hatte die Verbindung mit den Malorys gewollt, aber dann hatte er nicht mehr lange genug gelebt, um sich daran zu erfreuen.
Die achtzehn Jahre ihrer Ehe waren so unerträglich gewesen, wie sie es vorhergesehen hatte. Wenn Frances mit ihrem Ehemann zusammen war, lebte sie in ständiger Angst. Er hatte sie zwar nie körperlich verletzt, aber sie wußte ja, daß er zur Gewalttätigkeit neigte, und allein deswegen
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