Malory
lagen ihre Nerven blank. Und immer regte er sich über irgend etwas auf, das ihm mißfiel, ob es nun einer seiner Brüder war, ein politisches Thema, mit dem er nicht übereinstimmte, oder einfach nur das Wetter. Da war es nicht weiter verwunderlich, daß sie Entschuldigungen erfand, um ihn meiden zu können.
Ihre Hauptentschuldigung war ihre schwache Gesundheit gewesen, was Jason zu der Annahme geführt hatte, sie sei kränklich. Seine ganze Familie dachte das. Es half ihr, daß sie so dünn war, und auch ihre äußerst helle Haut, die man leicht für Blässe halten konnte, erwies sich im Hinblick darauf als nützlich. Dabei war sie eigentlich völlig gesund. Man konnte sogar so weit gehen zu behaupten, sie habe eine Roßnatur. Sie hatte es Jason nur nie gesagt.
Jetzt aber wollte sie die Wahrheit nicht länger verbergen. Sie wollte nicht mehr mit einem Mann verheiratet sein, den sie nicht ertragen konnte, vor allem jetzt, wo sie jemanden gefunden hatte, den sie lieben konnte.
Oscar Adams war das genaue Gegenteil von Jason Malory. Er war nicht sehr groß – eigentlich sogar klein –
und nicht im mindesten muskulös. Er war ein lieber, sanfter Mann mit leiser Stimme, der gelehrte Themen körperlichen Belangen vorzog.
Sie hatten sehr viel gemeinsam, und vor fast drei Jahren hatten sie ihre Liebe zueinander entdeckt. Bisher hatte Frances sich allerdings nicht getraut, Jason mit dieser Tatsache zu konfrontieren. Und was gab es für einen besseren Zeitpunkt, um eine schlechte Ehe zu beenden, als den Tag, an dem eine andere, glücklichere Ehe gerade begann?
»Jason?«
Er hatte ihre Ankunft gar nicht bemerkt, da er gerade mit seinem Sohn Derek redete. Beide wandten sich ihr zu und lächelten, als sie sie begrüßten. Dereks Lächeln kam von Herzen, sie zweifelte jedoch nicht daran, daß Jasons Freundlichkeit unaufrichtig war. Sie hegte überhaupt keinen Zweifel daran, daß er ihre Gesellschaft genauso wenig schätzte wie sie die seine. Eigentlich müßte er äußerst erfreut sein über das, was sie ihm mitteilen wollte. Und sie würde es nicht mit müßigem Geplauder hinauszögern.
»Kann ich ein Wort unter vier Augen mit dir sprechen, Jason?«
»Natürlich,
Frances.
Genügt
dir
Edwards
Arbeits-
zimmer?«
Sie nickte und ließ sich von ihm aus dem Zimmer führen.
Ihre Nervosität wuchs. Eigentlich war das ein dummer Vorschlag von ihr gewesen. Es hätte gereicht, wenn sie einfach nur beiseite getreten wären. Sie hätten ja im Flü-
sterton darüber reden können. Niemand wäre etwas aufgefallen, und die anderen Gäste hätten Jason zumindest davon abgehalten, einen Wutausbruch zu bekommen.
Aber jetzt war es zu spät. Er schloß bereits die Tür zum Arbeitszimmer seines Bruders. Frances eilte quer durch den Raum und schob einen der schweren gepolsterten Stühle zwischen sich und ihn. Als sie ihn jedoch anblickte, blieben ihr die Worte im Hals stecken, weil er ironisch eine Augenbraue hochzog. Und obwohl er erfreut sein müßte über das, was sie ihm sagen wollte, konnte man Jason Malorys Reaktionen nie vorhersagen.
Sie holte tief Luft, bevor sie die Worte aussprach. »Ich möchte die Scheidung.«
»Die was?«
Sie richtete sich auf. »Du hörst hervorragend, Jason.
Laß es mich nicht noch einmal wiederholen, nur weil es mir gelungen ist, dich zu überraschen. Wir waren schließlich nie wirklich verheiratet.«
»Das spielt keine Rolle, Madam. Und ich bin nicht überrascht, sondern kann es einfach nicht glauben, daß du so etwas überhaupt vorschlägst.«
Zumindest brüllte er nicht – noch nicht. Und auch sein Gesicht war nur leicht gerötet.
»Das war kein Vorschlag«, sagte sie und wappnete sich gegen seinen Wutausbruch. »Es war eine Forderung.«
Wieder brachte sie ihn aus der Fassung. Einen Augenblick lang starrte er sie ungläubig an. Und dann zog er die Brauen zusammen, auf eine Art und Weise, die ihr schon immer auf den Magen geschlagen war. Auch dieses Mal war es so.
»Du weißt so gut wie ich, daß eine Scheidung nicht in Frage kommt. Du stammst aus einer guten Familie, Frances. Und du weißt verdammt genau, daß es in unseren Kreisen keine Scheidungen gibt .. «
»Natürlich gibt es sie«, verbesserte sie ihn. »Sie sind nur skandalös. Und Skandale sind doch für deine Familie nichts Neues. Deine jüngeren Brüder haben jahrelang einen nach dem anderen hervorgerufen, als sie noch London unsicher machten. Und auch über dich haben sie sich die Mäuler zerrissen, als du verkündet hast,
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