Malory
Herr. Lassen Sie mich jetzt bitte gehen.«
Sie hatte dies höflich, aber bestimmt gesagt, doch seine Reaktion war nur ein abfälliges Grinsen. Sie spielte gerade mit dem Gedanken, ihm gegen das Schienbein zu treten und da-vonzurennen, als sie hörte, wie jemand hinter ihr pfeifend die Luft einzog und dann mit einer fassungslosen Stimme ausrief: »Allmächtiger Himmel, Derek, ich kenne diese Stimme. Wenn das nich' deine neue Tante ist, die du gerade verführen willst, dann freß ich einen Besen.«
»Sehr witzig, Jeremy«, brummte Derek.
»Jeremy?« fuhr Georgina herum und erkannte James'
Sohn, der hinter ihr stand.
»Und meine Stiefmutter«, ergänzte der Lümmel und brach in schallendes Gelächter aus. »Da hast du noch mal verdammten Massel gehabt, daß du nicht versucht hast, ihr einen Kuß abzujagen, wie bei der letzten Nutte, die ein Auge auf dich geworfen hatte. Mein Vater hätte dich eigenhändig umgebracht, da kannst du Gift drauf nehmen, wenn es dein eigener nicht getan hätte.«
Unvermittelt wurde Georgina losgelassen und taumelte ein wenig, so daß gleich drei Paar hilfreiche Hände hochfuh-ren, um sie zu stützen, aber sofort wieder zu Boden sanken.
Verdammt, wenn sie schon mitten in den Docks über Familie stolpern mußte, hätte es dann nicht wenigstens ihre sein können, anstatt die von James?
Derek Malory, Jasons einziger Sohn und Erbe, schaute stockfinster aus der Wäsche und auch Jeremy blieb das Lachen im Halse stecken, als er sich jetzt langsam nach seinem Vater umschaute, ihn jedoch nirgends entdecken konnte und ganz richtig folgerte, daß Georgina alleine unterwegs sein mußte.
»Soll das heißen, daß das Fräulein uns jetzt doch nicht begleitet?« wollte Percy wissen.
»Halt den Mund«, warnte Derek seinen Freund. »Die Lady ist James Malorys Frau.«
»Meinst du etwa den Kerl, der beinahe meinen Freund Nick umgelegt hätte? Mensch Malory, da wärst du aber tatsächlich geliefert gewesen, wenn du dich an seiner Frau vergriffen ...«
»Halt's Maul, Percy, du Idiot. Der Kerl hat dir doch gesagt, daß sie meine Tante ist.«
»Moment mal«, erwiderte Percy eingeschnappt. »Er hat es zu dir gesagt, nicht zu mir.«
»Komm, du weißt doch genau, daß James mein Onkel ist.
Er wird nicht ... Ach, hol's der Teufel, vergiß es.« Dann blieb sein finsterer Blick wieder auf Georgina hängen. Derek erinnerte sie immer mehr an James und schien nur etwas zehn Jahre jünger als er zu sein. »Ich nehme an, ich sollte mich entschuldigen, Tante ... George, ist das richtig?«
»Georgie«, verbesserte sie ihn und konnte sich nicht erklä-
ren, warum er sie so ärgerlich anstarrte. Seine nächsten Worte brachten die Erklärung:
»Kann nich' gerade behaupten, daß ich entzückt bin, dich in unserer Familie willkommen zu heißen.«
»Nein?« blinzelte Georgina.
»Nein, ganz und gar nicht. Es wäre mir verdammt viel lieber, wenn wir nicht verwandt wären.« Dann wandte er sich an Jeremy: »Verfluchte Hölle, weißt du, wo unsere Onkel immer diese Weiber aufgabeln?«
»Nun, mein Vater fand seine in einer Hafenkaschemme«, erklärte Jeremy säuerlich, doch Georgina merkte sofort, daß der Ärger seinem Vater galt. »Ist es eigentlich nicht verwunderlich, daß wir sie hier antreffen, oder?«
»Um Himmels willen, Jeremy, es ist doch alles ganz anders«, protestierte sie nun ihrerseits etwas verärgert. »Dein Vater war leider so unvernünftig, mich davon abzuhalten, meine Brüder zu sehen.«
»Also bist du ausgebüchst, um sie auf eigene Faust zu finden?«
»Nun .. ja.«
»Weißt du überhaupt, wo du nach ihnen suchen mußt?«
»Nun .. ehrlich gesagt nicht.«
»Dann ist es wohl das Vernünftigste, wenn wir dich nach Hause bringen?«
Sie seufzte. »Ich war doch sowieso schon auf dem Heimweg. Ich wollte gerade die Droschke dort vorne nehmen ...«
»Dann hättest du aber weit laufen müssen, denn das ist Dereks Kutsche, und sein Fahrer hätte dich bestimmt einfach ignoriert ... außer du hättest ihm deinen Namen genannt, was du natürlich niemals getan hättest. Dem Himmel sei Dank, du hast verfluchtes Schwein gehabt, daß wir dich hier aufgelesen haben ... George.«
Wie der Vater, so der Sohn, dachte Georgina zähneknir-sehend und plötzlich wurde ihr klar, daß es wohl keine Möglichkeit gäbe, unbemerkt in das Stadthaus zurückzuge-langen, ohne daß James von ihrem kleinen Abenteuer erfüh-re, außer ...
»Ich nehme doch an, daß dich nichts davon abhalten könnte, deinem Vater die Sache
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